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Menschen, Fleisch und Engel

 Ich habe Descartes bisher nach Kräften wohlwollend gelesen. Dabei will ich nicht bis zuletzt unterstellen, der cartesischen Philosophie sei noch heute in ihrer Gänze zuzustimmen. Es gibt einige Stellen, die sich nicht einfach in die Interpretation, die ich bisher dargelegt habe, einordnen lassen. So behauptet Descartes mitunter, der Mensch sei ein aus Körper und Geist zusammengesetztes Wesen.gif Oder er beschreibt den Wahrnehmungsprozess als eine Wechselwirkung zwischen Geist und Materie.gif Mein Wohlwollen bezüglich solcher Stellen drückte sich bisher darin aus, dass ich nicht auf sie gebaut habe. Gerade auf der Grundlage des bisher bei Descartes Gefundenen scheint es aber ein Fehler zu sein, den Menschen als zusammengesetztes Wesen zu beschreiben, oder allzu präzise Antworten auf die Frage nach der Wechselwirkung zwischen Geist und Körper zu erwarten oder zu versuchen. Es bleibt zu zeigen, dass es ein vermeidbarer Fehler ist. Eine zweite Gruppe von Aussagen, die nicht mehr ohne Weiteres gelten können, sind die über die Unsterblichkeit der Seele und die Existenz Gottes. Für eine Psychologie sind sie als solche nicht mehr relevant. Ob von Gott, als den einen Punkt, an dem alle möglichen Vollkommenheiten zusammenlaufen, heute noch die Rede sein kann, ist bereits in Frage gestellt worden. Auch ob es eine unsterbliche Seele derart gibt, dass sie nach ihrer Loslösung vom Körper noch gewisse Gefühle (emotions interieures) und Gedanken haben könne, ist zweifelhaft. Ob es körperlose Gefühle überhaupt geben kann, wird der heutige Descartes-Leser zu Recht in Frage stellen.gifIn diesem Kapitel geht es mir auch darum, den Körper des lebenden Menschen in ein Verhältnis zu seinem Geist zu setzen. Die cartesische Physik verwendet einen zu engen Körperbegriff, um vom menschlichen Leib als solchem handeln zu können. Die Forderung nach einer alternativen oder psychosomatischen Medizin zieht hieraus die Konsequenzen. Die cartesische Metaphysik dagegen hat einen reinen Geist zum Gegenstand, den wir heute nicht mehr ohne weiteres anerkennen. Wenn in Frage steht, dass es einen Gott als Ort der Verwirklichung aller Möglichkeit gebe, und ebenso, ob und wie es eine unsterbliche Seele geben könne, ist es wesentlich, zu sehen, wie die cartesischen Bereiche des rein Geistigen und Körperlichen sich im Ausgang vom lebenden Menschen voneinander abgrenzen lassen.gif In den Briefen an Elisabeth war angeklungen, dass das Wissen vom lebenden Menschen grundlegender sei als die exakten Wissenschaften. Diese, die Physik und die Metaphysik, scheinen vielmehr darauf aufzubauen, indem sie nur dasjenige präzise formuliere, was deutlich gemacht werden kann. Auf dem Weg zur Exaktheit geht aber Einiges verloren, und zwar die Begriffe der Einheit von Leib und Seele. Die exakten Wissenschaften sind also abgeleitet in dem Sinne, dass sie sich zwar aus der Betrachtung des lebenden Menschen entwickeln lassen, jedoch das Wissen vom lebenden Menschen nicht umgekehrt aus ihnen folgen kann. Die zwei unter der Forderung nach Exaktheit isolierten Bereiche lassen sich nicht wieder als exakte zu einem vereinigen.gifDaher ist zu sehen, wie sie sich aus der Betrachtung des lebenden Menschen ergeben und wie sie sich dort zueinander verhalten, bevor die Trennung in eine körperliche Leiche und einen unsterblichen Geist vollends erfolgt.Bevor ich in Abschnitt 5.2 wieder auf Texte von Descartes zurückkomme, werde ich nun einem Wink folgen, den er in seiner Unterredung mit Burman macht. Er deutet dort an, dass sich der vom Leib getrennte Geist zu dem reinen Körper verhält wie der reine Intellekt eines Engels zur Welt. fAuf die Frage, welche Möglichketien die cartesische Ontologie der Psychologielässt, werde ich im folgenden letzten Kapitel zurückkommen. Zwar werde ich in diesem Kapitel gerade nach dem Verhältnis von Geist und Körper im lebenden Menschen fragen. Es geht mir dabei aber um eine Erhellung des Geistigen am cartesischen Menschen, nicht des Psychischen. Es geht mir also zunächst wieder um eine Klärung dessen, was Descartes anstelle der Psyche des lebenden Menschen thematisiert.


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