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Sarkasmus und Esprit

 In seiner Erwiderung auf Gassendi wird Descartes sarkastisch. Gassendi hatte, in seiner Kritik an den Meditationen, ihren Autor als ,verehrte Seele` angesprochen.gif Descartes antwortet, indem er Gassendi als ,verehrtes Fleisch` anredet.gif Das Fleisch (
greek2006
), als Gegensatz zum Geist (esprit), hat im Christentum eine unrühmliche Geschichte.Ich werde dem Hinweis, den Descartes mit seiner Rede vom Fleisch macht, nun nachgehen. Daraus wird sich die Anregung ergeben, den reinen Geist weniger als individuellen Intellekt, sondern vielmehr im Sinne eines Gesetzes zu verstehen. Inwiefern der cartesische Geist dennoch individuell ist, werde ich anhand gerade dieser Interpretation anschließend zeigen.In seinem Schreiben an die Sorbonne zitiert Descartes aus dem Römerbrief des Apostels Paulus mit den Worten, es gebe keine Entschuldigung für die Unkenntnis seines Schöpfers.gifIm selben Brief hatte Paulus in einflussreicher Weise den Körper des Menschen herabgewürdigt.
Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?gif
Paulus bringt diese von ihm verdammte Leiblichkeit in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Anfälligkeit des Menschen für die Sünde.
Denn wir wissen, daß das Gesetz geistlich ist; ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft.gif
Das Fleisch wiederum bedingt die Sünde, indem es eben die Körperbeherrschung, über die Engel verfügen, hemmt.
Denn ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleische, wohnt nichts Gutes. Wollen habe ich wohl, aber vollbringen das Gute finde ich nicht.gif
Bei Paulus hat das, was Descartes im Schreiben an die Sorbonne als Orientierungen am Nutzen und am Rechten kontrastiert, die Titel ,Fleisch` und ,geistliches Gesetz`. Die Fleischlichkeit hindert den paulinischen Menschen daran, seinem Willen und seiner Einsicht in das Gute zu folgen. Sie ist das, was den Geist daran hindert, rein zu sein.Was hier in Konflikt zueinander steht, sind nicht die Innenwelt menschlichen Erlebens und Handelns und sein Körper, oder die Psyche und das Soma. Vielmehr steht hier das Fleisch, die menschliche Leiblichkeit, gegen das geistliche Gesetz, eine allgemeine Norm.gif Paulus erhebt damit zur Norm und zum Ziel menschlichen Strebens nach dem Guten, was für einen cartesischen Engel eine Selbstverständlichkeit wäre. Der paulinische Mensch muss darum kämpfen, von seinem Körper erlöst zu werden und erst dadurch kann er dem geistlichen Gesetz uneingeschränkt folgen. Umgekehrt kann im cartesischen Engel das Idealbild eines vollkommen rational und gerecht Handelnden gesehen werden. Es ist offensichtlich, dass Paulus gerade gegen das Fleisch gewisse Ressentiments hegt. Seine Ablehnung ist selbst höchst emotional und entspringt einer Leidenschaft für das geistliche Gesetz. Dieses Streben nach rein Geistigem im Menschen ist selbst noch als Produkt seiner ursprünglichen Emotionalität zu sehen.gif Descartes kennt eine solche Leidenschaft für das Geistige, in den Passions de l'Âme nennt er sie admiratio.gifErst diese grundlegendere Leidenschaft für das Gesetz bringt Paulus dazu, alle weitere Leidenschaft, die gegen das Gesetz steht, zu verdammen. Was selbst eine Leistung ganzer Menschen war, die Normen des geistlichen Gesetzes nämlich zu setzen oder wenigstens zu akzeptieren, wird so abgekoppelt und verabsolutiert. Die absolute Normativität erhält hier, im reinen Geist, einen gesonderten Ort, so dass ihre ursprüngliche Menschlichkeit verdeckt wird.
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