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Gewissen ohne Bewusstsein?

 Hans Jonas hat zwei Jahre nach der Veröffentlichung seines Prinzips Verantwortunggif einen Exkurs nachgeliefert, der sich dort mit dem Leib-Seele-Problem hätte befassen sollen. Das Anliegen dieses Exkurses war, die Möglichkeit einer kausalen Einwirkung des Subjekts auf seine materielle Umwelt zu verteidigen. Notwendig ist dies, schreibt Jonas, da sonst nicht einsehbar sei, wie Menschen Verantwortung für Veränderungen innerhalb der materiellen Welt haben könnten. Der ,,naturwissenschaftliche Dogmatismus`` könne nicht anders,
(...) als die Seele (das Bewußtsein) zur Ohnmacht in der objektiven Welt zu verurteilen, welche nach seinen Normen allein erklärt werden muß. Danach wären wir Puppen der Weltkausalität. Damit aber wird der Lehre von der Verantwortung jeder Boden entzogen.gif
Jonas nimmt also bereits die materielle und die psychische Welt als gegeben und fürchtet um die Möglichkeit der Wechselwirkung zwischen beiden. Statt die Sphäre des reinen Geistes als etwas zu begreifen, das gerade aus der offensichtlichen Verwendbarkeit von Begriffen wie Irrtum, Schuld und Verantwortung folgt, nimmt er die Existenz und Wirksamkeit des reinen Geistes zur Voraussetzung für die Möglichkeit von Verantwortung.Die theoretischen Überlegungen, die Jonas über die Einwirkung des Psychischen auf die Materie anstellt, sind dementsprechend nicht mehr als ein Zerrbild der an sich einleuchtenden Individualität und Wirksamkeit lebender Menschen qua Träger von Verantwortung.Damit ein Subjekt Verantwortung tragen kann, schreibt Jonas, muss es auf die materielle Welt wirken, in der es selbst nicht vorkommt. Er nimmt an, es bewirke Veränderungen im Gehirn des Handelnden.gifDiese Einwirkung auf die Materie des Hirns, schreibt er, sei nicht im Sinne der Physik kausal. Vielmehr wirke der Geist dadurch auf den Körper,
(...) dass von seiten des Psychischen, also von jenseits des ,Stoffes`, die zur Auswahl des Neurons bzw. seines Auslösers benötigte physische Größe erzeugt wurde. Man erschrecke über diesen Gedanken nicht zu sehr und sehe zu, wohin das theoretisch führt.gif
Man erschrecke sehr wohl, eben weil es theoretisch ins Abseits führt. Den Einwand, dass eine Ursache im Bereich der klassischen Physik stets selbst physikalisch und nicht unkörperlich sein könne, versucht Jonas durch den Hinweis zu entkräften, das Psychische bringe vielleicht sehr geringe Wirkungen hervor.
Die Kleinheit des so Erzeugten würde es für jede Zählung der physischen Faktoren in der Ereignisfolge unsichtbar machen.gif
Da zudem auch das Physische auf die Seele wirke und so stets kleine Mengen physischer Energie in den Bereich des Psychischen abflössen, halte sich die Menge der Energie im Ganzen konstant.gif Es fließt, diesem Modell gemäß, also immer ein wenig Energie in das Subjekt ab, wird dort in mysteriöser Weise aufgenommen, verarbeitet und wieder an die materielle Welt abgegeben. All dies spielt sich obendrein sich in einer Größenordnung ab, die nicht physikalisch messbar ist.Eine solche Theorie ist keine Rettung der Subjektivität, sondern eine Karikatur einer falsch verstandenen cartesischen Anthropologie. Die Bemerkungen, die Descartes selbst über die Wechselwirkung zwischen Geist und Körper gemacht hat, gehören nicht zum Besten, was er geschrieben hat und ich habe weitestgehend auf ihre Diskussion verzichtet. Jonas wiederholt hier aber nicht einfach einen Fehler, den Descartes zu begehen scheint, sondern er tut dies am falschen Ort. Indem Jonas glaubt, die Möglichkeit von Verantwortlichkeit durch eine psychophysische Theorie beweisen zu müssen, muss er eine Lehre vom reinen Geist annehmen, die selbst nicht auf dem Phänomen der Möglichkeit von Schuld, Irrtum und Verantwortung beruhen kann. Da bei Jonas die Theorieder psychophysischen Wechselwirkung am Anfang steht, geraten die Mängelseiner Interaktionstheorie zu schweren philosophischen Problemen.Das Verhältnis, das Jonas zwischen Verantwortlichkeit und Subjektivität sieht, besteht zwar in der Tat, aber in umgekehrter Reihenfolge.Der Descartes, den ich hier zu rekonstruieren suche, etabliert seine Lehre vom reinen Geist erst durch den Vorsatz, verantwortlich sein zu wollen. Letztendlich ist für Descartes nicht der Geist und die Materie das Grundlegende, sondern die Fähigkeit des Menschen, gewissenhaft zu handeln. Freiheit, zu entscheiden, entsteht erst durch die Situation des Verantwortens, ebenso wie die Möglichkeit , Ja` oder ,Nein` zu sagen, erst durch eine Frage geschaffen wird.Damit ist genug über den Verantwortungsbegriff gesagt. Ich kann mich nun der Arbeit an der bisher offen gebliebenen Frage zuwenden: Mit welchem Recht kann das meditierende ego als individuelle Substanz gelten?
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