Next: Strenge und ExaktheitUp: Zur Form einer cartesischen Previous: Zur Form einer cartesischen Heidegger auf der Suche nach einer PsychologieHeideggers Kritik an Descartes lautet im Wesentlichen, dass Descartes die subjektive und die objektive Welt, indem er ihnen Substanzen zuordnet, zum Fundament gewählt habe, ohne zu sehen, dass die menschliche Situation des Seins in einer Welt viel fundamentaler ist. Descartes habe damit für basal gehalten, was eigentlich abgeleitet sei.Den Geist habe Descartes entsprechend als innerweltliche, denkende Substanz missverstanden und damit das Bedingungsverhältnis unaufgeklärt gelassen, das zwischen den innerweltlich vorhandenen Dingen und dem menschlichen Dasein besteht, das nicht in dieser Welt vorkommt, sondern sie zu seiner Welt hat.Damit ist aber vollends der Weg dazu verlegt, gar auch noch den fundierenden Charakter alles sinnlichen und verstandesmäßigen Vernehmens zu sehen und sie [Verhaltungen des Daseins] als Möglichkeit des In-der-Welt-Seins zu verstehen. Das Sein des ,,Daseins`` aber, zu dessen Grundverfassung das In-der-Welt-Sein gehört, faßt Descartes in derselben Weise wie das Sein der res extensa, als Substanz.Hinter den unaufgeklärten Schwierigkeiten des Substanzbegriffs verberge sich bei Descartes ,,die Unbewältigung des grundsätzlichen Seinsproblems``, so dass Descartes in seinem Anfang mit dem cogito sum den ,,Seinssinn des `sum'`` unbestimmt gelassen habe.In Heideggers allgemeiner Kritik am neuzeitlichen, durch Descartes mit begründeten, Wissenschaftsbetrieb wird ein Ansatz zur Kritik der wissenschaftlichen Psychologie deutlich. Was es für eine Wissenschaft heißt, mathematisch zu sein, deutet Heidegger allgemein und treffend anhand der Etymologie des Wortes ,Mathematik` ( ). Mathematisch sei die neuzeitliche Naturwissenschaft in dem Sinne, dass sie ihren Gegenstand im Voraus an die bereits bekannte exakte Geometrie und Mechanik bindet. Die Strenge der mathematischen Naturwissenschaft ist die Exaktheit. Alle Vorgänge müssen hier, wenn sie überhaupt als Naturvorgänge in die Vorstellung kommen sollen, im voraus als raum-zeitliche Bewegungsgrößen bestimmt sein. (...)Es sei erstmals Descartes gewesen, schreibt Heidegger, der das Seiende im Ganzen derart als Gegenstand einer durch die mathematische Wissenschaft vergewisserten Vorstellung verstanden habe.Damit gerät das Objekt jeder Wissenschaft zu einem durch die mathematischen Herangehensweise Vorbestimmten und Beherrschten.Gerade das menschliche Erleben und Handeln ist dann aber nicht mehr wissenschaftlich fassbar. Dagegen müssen alle Geisteswissenschaften, sogar alle Wissenschaften vom Lebendigen, gerade um streng zu bleiben, notwendig unexakt sein.Heidegger diagnostiziert hier also ebenfalls, dass der neuzeitliche Wissenschaftsbegriff keine Psychologie als Wissenschaft zulässt. Eine solche werde nur durch Überwindung der neuzeitlichen Metaphysik möglich. Descartes ist nur überwindbar durch die Überwindung dessen, was er selbst begründet hat, durch die Überwindung der neuzeitlichen und d.h. zugleich der abendländischen Metaphysik.Wie kann eine Psychologie dann aussehen? Die Psychologie im Rahmen der neuzeitlichen Metaphysik, so Heidegger, versäumt die Frage nach dem Psychischen selbst. Daher wendet sie auf dessen Erforschung Methoden an, die sie denen der mathematischen Naturwissenschaften nachbildet. Die Berechtigung der Psychologie besteht in ihrem Ansatz und im Ernstnehmen des Nicht-körperlichen, aber dann hört ihre Berechtigung schon auf, weil sie dann dieses Nicht-körperliche mit nicht gemäßen Methoden erforscht.Die Überwindung der neuzeitlichen Metaphysik besteht damit auch und gerade in der Abstandnahme vom Körperbegriff der Physik. Heidegger spricht vom Leib des Menschen, um das zu bezeichnen, was am Menschen zwar einer physiologischen Beschreibung zugänglich ist, aber dennoch nicht selbst korrekt durch eine solche Beschreibung beschrieben würde. Der Leib werde im Rahmen der herkömmlichen Physik als Körper beschrieben und gerade damit verliere er seine Leiblichkeit. Das liege hauptsächlich daran, dass der Leib eine Grenze als ,meiner` habe, die der Körper als bloß physikalischer nicht haben könne. Das, was wir beim EEG sehen, hat mit dem Leiben des Gehirns nichts zu tun, sondern damit, dass der Leib auch als Körper und dieser chemisch-physikalisch gedacht werden kann.Den Blick auf die Leiblichkeit des Menschen im Gegensatz zum Haben eines physikalisch beschreibbaren Körpers habe Descartes verstellt. Ich habe in dieser Arbeit bereits untersucht, inwieweit dies stimmt.Die Kritik Heideggers an der neuzeitlich geprägten und damit vielleicht cartesisch zu nennenden Psychologie hat also zwei grundsätzliche Züge. Erstens werde nicht auf die Eigenart des Psychischen geachtet, bevor Methoden zu seiner Erforschung erdacht und verwendet werden. Dies wäre aber nötig, um erst die dem Psychischen gemäße Methode zu finden. Zweitens werde der Körperbegriff der Physik fraglos übernommen, wodurch die Stellung des Leibes im menschlichen Handeln und Erleben auf die falschen Begriffe gebracht wird. Eine Heideggersche Psychologie muss also einen dem Psychischen angemessenen Begriff der Strenge finden, ohne exakt sein zu wollen und sie muss zwar vom Körper bzw. Leib handeln, aber nicht so, wie die Physik vom Körper handelt.In einem Sinne ist eine solche Psychologie nicht cartesisch: Sie darf sich nicht auf die Vorarbeit verlassen, die Descartes für die Physik und Metaphysik geleistet hat.Als cartesisch ist eine Psychologie mit Heidegger in dem Maße zu kritisieren, in dem sie sich an die Vorgaben der cartesischen Physik hält, indem sie diese entweder allgemein zum Vorbild nimmt oder den Körperbegriff aus ihr entlehnt. Um eine nicht cartesische Psychologie nach Heidegger zu begründen, wären methodologische Fragen neu zu klären. Es würde sich fragen, was eine abgrenzbare wissenschaftliche Disziplin ausmacht und was ihren Gegenstand. Zweitens wäre die einer Psychologie angemessene Form der Strenge zu benennen. Next: Strenge und ExaktheitUp: Zur Form einer cartesischen Previous: Zur Form einer cartesischen |
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