Next: LiteraturUp: Schluss Previous: Deutlichkeitaber anders In erster
Linie habe ich in dieser Arbeit Lesarten von Descartes gefunden und
verteidigt. Die wesentlichen Punkte dabei waren die
folgenden. - Das ego der ersten fünf Meditationen
unterscheidet sich von der Psyche, die Gegenstand einer modernen
Psychologie sein könnte. Descartes spricht hier nicht von der
Seele eines lebenden Menschen, sondern im Gegenteil von dem, was
seiner Meinung nach von dieser fortbesteht, wenn der Mensch nicht
mehr lebt.
- Substanzen sind Korrelate klarer und deutlicher
Begriffe. Deutlichkeit eines Begriffes besteht in der Getrenntheit
von anderen Begriffen und Substanzen sind Dinge, die allein in derart
abgetrennter Rede beschrieben werden können. Daher können
Geist und Körper nur Substanzen sein, wenn sie voneinander
getrennt betrachtet werden.
- Cartesische Metaphysik und Physik
sind in dem Sinne abgeleitete Redeformen, dass sie
Präzisierungen der Rede von Seele und Leib darstellen. Etwas
abzugrenzen, also präzise zu machen, bedeutet auch
einen Verlust.
- Gott ist das, was Möglichkeiten möglich
macht und Notwendigkeiten stiftet. Die Idee Gottes ist die Idee einer
Gesamtheit der Begriffe oder eines Horizontes der
Möglichkeiten.
- Bewusstsein kann mit Gewissenhaftigkeit
,übersetzt` werden. In diesem Sinne ist Bewusstheit auch
für Descartes noch eine normative Kategorie. Etwas bewusst zu
tun, bedeutet, die Folgen davon als zu verantwortende übernehmen
zu wollen.
- Das ego der Meditationen ist dasjenige
am Menschen, das bewusst sein kann, also Verantwortung
übernehmen kann. Aus diesem Grund kann es als individuelle
Substanz gelten.
Die angeführten Interpretamente lassen sich
zu einer mehr oder weniger gewagten Gesamtinterpretation oder
Reformulierung zusammenfassen. Dieser gemäß beruht die
sichere Erkenntnis und Weisheit des Menschen darauf, dass dieser sich
selbst als möglichen Träger von Verantwortung erkennt und
anerkennt. Es muss zuallererst den Entschluss fassen,
gewissenhaft zu denken. Notwendige Voraussetzung dafür
ist die Einsicht in den Horizont der eigenen Möglichkeiten und
Notwendigkeiten. Was schließlich die Frage nach einer
Rehabilitation der cartesischen Psychologie angeht, so bin ich zu
folgenden Schlüssen gelangt.Zunächst lässt sich den in
der Einleitung grob skizzierten Kritiken Folgendesentgegnen: -
Descartes hat zwar Bereiche wissenschaftlicher Rede voneinander
abgegrenzt. Dies aber bedeutet nicht, dass er die Welt in zwei
Hälften geteilt habe. Erstens macht Descartes selbst an
verschiedenen Stellen deutlich,dass nicht alles in der Welt in den
Zuständigkeitsbereich einer der beidenWissenschaften
fällt. Zweitens deutet er Elisabeth gegenüber an, dass das
unwissenschaftliche, also unpräzise Denken
grundlegender ist als die Einübung in die Verwendung
deutlicher, scharfer Begriffe. Descartes extrahiertalso bestenfalls
aus der Menge der Ideen und Sätze über die Welt zwei
Teilmengen, indem er schon bestehenden Sprachgebrauch weiter
präzisiert und einschränkt. Gerade die Rede vom lebenden
Menschen bleibt von dieser Reform unberührt.
- Descartes hat
auch nicht die Rede von der mentalen Innenwelt einesMenschen
initiiert. In den Meditationen geht es erstens nicht um subjektive
Psychologie. Zweitens hat die Fundierung des Wissens in der ersten
Person einen wichtigen Hintersinn: Es geht gerade um die
Verantwortung, die die erste Person vor anderen übernimmt, indem
sie Bewusstsein hat, also gewissenhaft denkt und handelt. Daher kann
der Bereich des Unmittelbaren, von dem in den Meditationen
die Rede ist, nicht einfach ,privat` genannt werden -- jedenfalls
nicht, wenn man unter einem Privatmenschen einen solchen versteht,
der keine Verantwortung trägt.
- Da Descartes in der
Metaphysik als einer seiner beiden Wissenschaften nicht den ganzen
Menschen thematisiert, kann ihm auch nicht zum Vorwurf gemacht
werden, er habe ihn dort zu einem rein rationalen Wesen
erklärt.
- Das Problem der Wechselwirkung von Geist und
Körper, also genauer die Frage nach der Beziehung zwischen
physikalischer und metaphysischer Rede mag zwar ein sehr schwieriges
und hartnäckiges philosophisches Problem sein. Es kann aber
erstens nicht von Descartes oder seinen Nachfolgern verlangt werden,
dass sie es lösen, nur weil sie es aufwerfen. Zweitens, und das
ist entscheidend, ist nicht klar, dass dieses Problem in der Form, in
der die cartesische Philosophie aufwirft, überhaupt einer
Lösung bedarf. Lösungsbedarf ergibt sich erst
durch weitere Annahmen, etwa dass der Mensch determiniert zu nennen
sei, solange nicht innerhalb der Wissenschaft eine Möglichkeit
gezeigt wird, wie Geister auf Körper wirken können. Dies
aber bedeutet, die wissenschaftliche Redeweise zu hoch zu
schätzen.
Zweitens kann die positiv umrissen werden, was
Descartes über den lebenden Menschen sagt. Den Menschen
behandelt Descartes auf drei Ebenen. - In nicht nur
präziser Weise kann der Mensch als Einheit von Leib und Seele
behandelt werden. Die Seele wird dann betrachtet, insofern sie
verkörperter Geist ist, der Leib, insofern er beseelter
Körper ist.
- Der Körper kann in ausschließlich
präziser Weise nur als rein ausgedehnte Substanz beschrieben
werden. Aus einer solchen Beschreibung sind alle Bezüge zum
Geist herauszuhalten.
- Der reine Geist ist dagegen metaphysisch,
unter Absehung von allem Körperlichen zu betrachten, sofern er
präzise beschrieben, und das heißt: als Substanz
betrachtet, werden soll.
Sofern eine Psychologie von den
letzteren beiden Ebenen unterscheidbar sein soll, also nicht mit der
Physik oder Theologie zusammenfallen soll, kann sie offenbar nicht
deren Präzision erreichen. Als cartesische Psychologie ist daher
letztendlich nur eine Ansammlung unpräziser Kommentare zu
bezeichnen. Diese machen aber schon allein deswegen keine cartesische
Wissenschaft aus, weil sie nicht von einer Substanz handeln.Ist die
cartesische Psychologie also rehabilitierbar? In einem Sinne
ist sie es nicht. Descartes kann keine Psychologie als Wissenschaft
anerkennen. Und solange die Einwände, die Descartes gegen eine
präzise Thematisierung der leib-seelischen Vermischung macht,
nicht entkräftet werden, ist eine cartesische Psychologie nicht
als Wissenschaft rehabilitierbar. Die Einwände sind aber vor
allem begrifflich motiviert. Da cartesische Wissenschaften
präzise, also voneinander getrennt sein sollen,
können sie keine Vermischungen zum Gegenstand haben. Dass Descartes damit vor allem den folgenden
Angriffspunkt bietet,sollte nicht weiter überraschen: Die
Allgemeingültigkeit seiner Unterscheidung zwischen Redebereichen
wie Physik und Metaphysik wäre zu hinterfragen. Der cartesische
Dualismus ist dann nicht etwa deswegen zu überwinden, weil er
den Menschen in zwei Hälften teilt, sondern weil er vorgibt,
eine unverrückbare Ordnung des möglichen Wissens zu
darzustellen.Hier ist nicht der Ort, ein solches Vorhaben weiter zu
verfolgen. Es liegt aberschon einiger Wert in eben der Feststellung,
dass Descartes die Beweise der Unkörperlichkeit und
Unsterblichkeit des Geistes selbst nicht auf denlebenden Menschen
bezogen wissen wollte. Durch die hier geleistete Zuordnung der
cartesischen Thesen zu den zwei Bereichen cartesischer
Wissenschaftlichkeit wird deutlich, was Descartes nicht
über den ganzen Menschen sagen wollte, und gleichzeitig, was
für einen Stellenwert die Aussagen haben, die Descartes
tatsächlich über den Menschen als lebenden macht. Das
cartesische Wissen vom lebenden Menschen kann zwar sicher und klar
sein, aber in dem herausgearbeiteten Sinne nicht deutlich. Solange
dies alles ist, was Descartes daran hindert, eine Wissenschaft vom
lebenden Menschen anzuerkennen, ist dagegen nicht viel
einzuwenden. Im Gegenteil entspricht diese Haltung gerade derjenigen,
die die Kritiker des Dualismus einnehmen wollen: Es sei falsch, den
Menschen nicht als leib-seelische Einheit zu betrachten.In
diesem Sinne ist die cartesische Rede vom lebenden Menschen,
wenn man darunter seine Psychologie versteht, rehabilitierbar.
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