Abendmahl
Der Anlaß der DebatteDa sie aber aßen nahm Jesus das Brot (arton), dankte und brach's und gab's den Jüngern und sprach: Nehmet, esset; das ist mein Leib (labete phagete, touto estin to swma mou - Mt 26,26) Dieser Satz aus dem Matthäus-Evangelium bezieht sich offenbar auf die Verheissungen Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm (Joh 6,56), mit denen Jesus zu verstehen gibt, (1)
daß er sich opfert, um (2) als internalisiert in den Glaubenden
weiterbestehen zu können. An die Bibelstellen knüpft sich eine
hochinteressante logisch-semantische Diskussion, nämlich um die
Frage, wie das "das" in "das ist mein Leib" verstehbar
sei. Sed quia Christum vorari fas dentibus non est, voluit in mysterio hunc panem et vinum vere carnem suam et sanguinem consecratione spiritus sancti potentialiter creari (...) Ubi profecto non alium, quam veram carnem dicit et veram sanguinem, licet mystico; unde quia mysticum est sacramentum, nec figuram illud negare possumus; sed si figura est, quaerendum quomodo veritas esse possit (...): ut sit figura vel character veritatis, quod exercitus sentitur; veritas vero, quidquid de hoc mysterio interius recte intelligitur aut creditur. Non enim omnis figura umbra vel falsitas. (De Corpore et Sanguini Domini, aus der TRE, Art. Abendmahl) Protagonisten des zweiten Abendmahlstreits sind Berengar von Tours (998-1088) und Lanfrank (ca. 1005-98, Jurist, Lehrer des Anselm von Canterbury). Eine herausragende Analyse erfährt das Problem später bei Ockham. Siehe dazu auch Gabriel Biel, Vocabularius Theologiae (1517) zur spätmittelalterlichen Eucharistielehre. Quellen zur Diskussion: Johannes-Evangelium6, 54: wer mein Fleisch
isset und trinket mein Blut, der hat das ewige Leben, und ich werde
ihn am juengsten Tage auferwecken. Glosse zu sth III 73 De Eucharistiae(aus der Summa Theologica, ed. Kard. Joseph
Pecci, Paris) Berengar, De sacra coena adversus Lanfrancum(Prantl Bd. II, p. 72f) Zum Ausdruck kommt zunächst ein neues Selbstbewußtsein der Dialektik: ...ratione agere in perceptione veritatis incomparabiliter superius esse. Nomina enim rerum ad differentiam rerum ipsarum quodammodo solitaria dici possunt, verbi gratia pronuntiatio nomine quod est 'terra', solius est terrae quod auditur, item audito eo quod est 'panis' ad plura non erit excurrendum; (...) Qui dicit 'panis altaris solummodo est corpus Christi', panem in altari esse non negat, (...) in aliam naturam translatae iam non possint esse illud (...) Omne enim quod est aliud, est in eo quod aliquid est, nec potest res ulla aliquid esse, si desinat ipsum esse; et ne obscurum, quod dico, remaneat, dicat aliquis 'Socrates est. Socrates iustus est', nullo modo Socrates iustus erit, si Socratem esse non contingeret (genaue Quelle bei Prantl angegeben). Dieses einzige erhaltene Manuskript, das Berengars Ansichten für ihn vorteilhaft darstellt, wurde übrigens erst von Lessing in Wolfenbüttel gefunden (Kurt Flasch, Einf. in die Philosophie des Mittelalters, p. 43). In der dagegen von Kardinal Humbert (Bischof von Sylvia Candida) verfaßten professio fidei, die Berengar auf der röm. Synode 1059 beschwören mußte, komme "mythisch anmutender Realismus" zum Ausdruck; die 1079 in Rom vorgelegte Formel spricht "differenzierend von einer Wandlung der Substanz nach" (substantialiter converti, aus dem Lexikon Theol. & Kirche Bd. 3, Eucharistie). Berengar wandte sich gegen eine Theorie, die im 9. Jahrhundert aufgekommen war, wonach beim Abendmahl das Brot aufhoeren muesse, Brot zu sein, um der wahre leib Jesu sein zu koennen. Berengar, von Beruf Lehrer der Grammatik und der Dialektik von Tours, wandte dagegen ein: wenn bei dem Satz "dies ist mein Leib" das Demonstrativpronomen "dies" auf die Substanz des Brotes hinweist, dann verliert der Satz seinen sinn, wenn man ein neues Subjekt, den physisch gedachten Leib Jesu, einfuegt. (Kurt Flasch, das philos. Denken im Mittelalter, Reclam 1986, p. 189) Neben und schon vor dem Investiturstreit war die Berengar-Debatte die erste grosse literarische Diskussion in Europa seit dem Ende der antiken Welt. (ebd. 190) Flasch diagostiziert in diesem Zusammenhang eine "völlig arglosen" Umgang mit dem Terminus res in den Schriften Augustins (ebd. p. 97f.): sowohl in seiner Sprachphilosophie wie in seiner Sakramentenlehre stellte er die "Sache" (res) in den Mittelpunkt. Dies wirke sich aus in der Streitfrage, ob das Brot nach der consecratio beim Abendmahl noch realiter (als res) Brot sei. In diesem Diskussionszusammenhang stieß man auf die fast unbewußte Assoziationsreihe von "Sache", "Substanz", "wahrhaf wirklich" und "sinnenhaft gegeben", die Augustin gegen seine ausdrücklichsten Intentionen für das Mittelalter mitbegründet hatte (ebd. p. 98f.). Flasch verweist für den Substanzbegriff auf De Trin. VII 5,10; VII 6,11; IX 4,5; IX 12.18; XV 17,29. Summa Theologiae, tertia parsThomas elaboriert die tridentinische
Lehrmeinung über das Abendmahl: Mehrere Aussagen mit eher anekdotischem Wert werden
über die Einzelheitender consecratio des Brotes und Weines
zum Leib und Blut Christi macht er im Folgenden. Konkreter geht Thomas in einigen spezifischeren
quaestiones auf die Umstände dertranssubstantiatio
ein. sth III 75 de conversione panis et vini in corpus et sanguinem
christiart. 1, videtur 3: nullum corpus potest esse simul in pluribus
locis, ... Einer eher semantischen Diskussion
wendet sich Thomas in den folgenden quaestioneszu. Zur Modernität der DebatteIm allgemeinen behauptet die thomistisch-tridentinische Lehre, die Substanz des Brotes verwandlesich restlos ist corpus christi. Dieser Sachverhalt ist es auch, der eine Interpretationdes Demonstrativpronomen in "dies ist mein Körper" kompliziert. Offenbar kommt insbesondereeine Rekonstruktion als starrer Designator nicht ohne weiteres in Frage. Die Substanz, die restlosausgetauscht wird, ist ja gerade das metaphysische Ding, das ohne Anführung jeweiligeräßerlicher Eigenschaften durch einen starren Designator denotiert wird. Die Abstraktion vonkonkreten Eigenschaften erfolgt bekanntlich durch Vorstellen kontrafaktischer Situationen: Let's call something a rigid designator if in every possible world it designates the same object (Kripke,Naming and Necessity, Oxf. 1981 p. 48); when I say that a designator is rigid, and designates the same thing in all possible worlds, I mean that, as used in our language, it stands for a thing, when we talk aboutcounterfactual situations (p. 77). Für Kripke wird das durch das tridentinische Konzil gestellteProblem dann wie folgt virulent: Consider the counterfactual situation in which in place of these creatures(Katzen) - these animals - we have in fact little demons which when they approached us brought bad luck indeed (wieso unnötig kompliziert?). (...) It seems to me that these demons would not be cats. They would be demons ina cat-like form (125f.) Ebenso wie in der Abendmahl-Debatte geht es hier um
Typen, nicht um einzelnetoken, und Kripke streitet - wie
Berengar - einfach ab, daß ein Satz wie "Diese Katzen
sindDämonen" (entpr. Dieses Brot ist mein Körper) sinnvoll
oder gar wahr wäre. Thomas mußsich diesem Problem stellen,
allerdings in etwas anderer Form: es geht nur um die Einheit der
suppositums(Denotats) von 'hoc' und 'corpus meum'. Der
Lehrmeinung nach vollzieht sich die Transsubstantiation
nämlichwährend der Ausprache des Satzes 'hoc est corpus
meum', so daß ersteres tatsächlich Brot, letzteresden Leib
Christi bezeichne. Die Transsubstantiation wird so von einer Ausnahme zum Regelfall. Or c'est ici que Descartes montre la plus grande audace, l'écart entre le naturel et le surnaturel n'importe en rien à la question, parce que la puissance ordinaire de Dieu '...nullo modo differt...' (AT VII 435,3) de sa puissance extraordinaire, puisque dans les deux cas il s'agit d'une puissance exercée de l'exterieur sur les choses (Marion, Suarez, p. 118). Noch erstaunlicher ist aber der ziemlich
genaue Hinweis darauf, wo und in welcher Form Substanzen relevant
sind: im Bereich des menschlichen Handelns. Die verwandelte Substanz
des Brotes ist ja nicht schlechthin unerkennbar. Ob ein Brot materiell
oder göttlich ist, entscheidet sich durch die Beobachtung oder
ausführung von Sprechakten, in denen es eine Rolle spielt. Das
Wort des Priesters bestimmt die Substanz und läß sie auch
als einziges erkennen. Die Quartae ObjectionesEs ist insbesondere die Abendmahlsdebatte, die Arnauld zur Übernahme der cartesischen Lehre unter den Vorzeichen der Jansenitisch-katholischen Theologie veranlaßt. Für Descartes selbst siehe zunächst die Briefe AT IV, au P. Mesland, p 110 f., 161f., 344f. Arnaulds Problem ist, dass aus der Existenz von primaeren Eigenschaften jederzeit und notwendig die Existenz einer Substanz folge: at negat author facultates illas absque aliqua substantia cui insint, posse intelligi, nec proinde etiam absque illa existere, ... AT VII 217f. (Dies folgt auch für Amy M. Schmitter, Formal Causation.)Descartes schreibt auch später: quicquid est reale, potest separatim ab omnio alio subiecto existere; quicquid autem ita separatim potest existere, est substantia (AT VII 434,24). Dies gerate
mit der katholischen Lehrmeinung (z.B. sth III 77,5 ad 1) in
Konflikt. ac denique, es eo quod dixerim modos absque substantia cui insint non posse intelligi, non debet inferri me negasse illos absque ipsa per divinam potentiam poni posse, ... AT VII 249 Freier (liberalius) argumentiert er dann:Sämtliche feststellbaren Eigenschaften einer Substanz finden sich an deren Oberfläche (in hac sola superficie fit contactus AT VII 251), und: ubi non video quidnam possit intelligi per speciem panis, praeter illam superficiem, quae media est inter singulas ejus particulas et corpora ipsas ambienta (ebd., Vgl Suarez, DM XXXVIII 2,8. Zum Oberflächenbegriff hier vgl. Hoffman p. 325 und AT IV 164-5) Daher könne es keinen Unterschied für die Wahrnehmung machen, ob das Brot aus re extensa oder corpo christi sei. Die Oberfläche sei weder Teil der Substanz, noch der Umgebung, sed tantummodo terminum illum qui medius esse concipitur (...), quique nullam plane habet entitatem, nisi modalem. AT VII 151; in einem Brief an Mersenne (AT III 387) nennt Descartes diesen Oberflächenbegriff geometrisch: elle ne differe en rien du locus Aristotelicus des escholes, ny de toutes les superficies que considerent les Geometres, ... AT VII 433 bekräftigt Descartes, dass er den mathematischen Oberflächenbegriff meine, der nur modus eines Körpers sein könne: sed duobus modis superficiei nomen apud mathematicos usurpatur: nempe vel (...); vel tantum pro corporis modo, ... (Zur Unterscheidung zwischen modus und substantia: Arnauld, Logik p. 40.)Es tritt also eine Substanz an die Stelle einer anderen, ohne daß hiervon irgendetwas bemerkt werden koennte. Descartes hält damit seine Physik für kompatibel und schliesst zunächst mit dem Worten: nam sane nullibi unquam, saltem quod sciam, docuit Ecclesia species panis et vini remanentes in Sacramento Eucharistiae esse accidentia quaedam realita, quae, sublata substantia cui inhaerebant, miraculose sola subsistant, AT VII 252. Niemand habe je ernsthaft sagen wollen, dass die
species ohne irgendeine Substanz fortdauern. caput I de reali praesentia (...) de sacrosancto Eucharistiae Sacramento. Jetzt aber versichert sich Descartes lieber noch einmal der Lehrmeinung. AT III, 340, 18. mars 1641 a Mersenne: Ie ne vous enuoye pas encore le dernier feuillet de ma response a mr. arnaut, ou i'explique la transubstantiation suiuant mes principes; car ie desire auparauant les conciles sur ce suiet, et ie ne les ay encore pu avoir. und ein Jahr später, AT III a Mersenne,
p. 545 bedankt sich Descartes für die Zusendung du concile de
constance sur la condemnation de Wyclef; aber seine Meinung sei
vollstaendig kompatibel mit der des Konzils. tam firmiter sibi persuaderunt (die frueheren theologen) accidentia illa quae sensus movent esse quid reale a substantia diversum, ... AT VII 253 Verneint heisst dies: die accidentia, die
die Sinne beeinflussen, sind nicht real von der Substanz
verschieden. Damit folgt die Behebung der Schwierigkeit: da die
accidentia nicht selbst real sind, ist auch leicht vorstellbar,
dass etwas real verschiedenes sich nicht durch seine accidentia
von anderem unterscheidet. Der Unterschied zwischen dem
sacramentum vor und nach consecratio besteht eben im
Widerfahrnis dieses Aktes - miraculo transubstantiationis, quod solum
ex verbis consecrationis concludi potest, AT VII 254. Aus der Logik von Port Royal (1662)Arnauld verfügt zur Diskussion der Satzes aus Mt 26,26 über eine ziemlich modern anmutende Referenztheorie. So unterscheidet er beispielsweise den Gehalt eines Wortes (linguistic meaning oder evtl. significatio im Sinne der proprietates terminorum) von den Vorstellungen, die mit ihm verknüpft sing (nahe an Freges Sinn, Ockhams suppositio; aber auch zu Freges Vorstellung tendierend).p. 93: bzgl. 'ceci est mon corps' müsse man unterscheiden zwischen dem Gehalt des 'ceci', i.e. 'chose presente', und der Idee des Brotes, die damit assoziiert wird. le mot de hoc (...) ne signifiera jamais qu'une idee confuse; mais ils l'eurent comme une idee ajoutee a cette idee confuse et excitee par les circonstances. Das
Demonstrativum 'hoc' darf also nicht sinngemäss ergänzt
werden durch eine Deskription, sonst kommt es zu einer fallacia
compositionis (indem der Satz 'das Brot ist kein Brot'
zusammengenommen fü wahr gehalten wird; richtig wäre die
Trennung 'das Brot(1) ist kein Brot(2)'). Arnauld bringt p. 240
ähnliche Beispiele bzgl. anderer miracles: les aveugles
voient,... im Hintergrund ebenfalls: fallacia
compositionis.Arnauld nennt den eigtl. Gehalt, chose
presente, auch eine idee precise, p. 94. ceci est mon corps (...) n'est que l'abrege de cette autre proposition parfaitement claire, ceci, qui est pain dans ce moment-ci, est mon corps dans cet autre moment; et que l'esprit supplee tout ce qui n'est pas exprime. Die damit hinzugefuegten klaren und distinkten Ideen (140) sind nicht im Sinn von 'hoc' enthalten. Über DescartesWas folgt daraus? (1) nur ein geschichtliches Faktum, und zwar (2) nur in Bezug auf Descartes' veröffentlichte Meinung. Es wird hier konkret deutlich, daß Descartes seine geometrische Naturwissenschaft als eine gewissermassen oberflächliche Erzählung verkauft: innerhalb seiner Wissenschaft kommt der okkulte Unterschied zwischen göttlicher und materieller Substanz nicht vor - dennoch ist Descartes bereit, diesen anzuerkennen. Zwei Motive möglich: (1) er glaubt aufrichtig und will gerade Glaubensfragen deswegen nicht in die Überprüfung nach Regeln der empirisch-mathematischen Forschung hineinziehen, (2) er gesteht der Kirche zu, was er insgeheim aus der Welt schaffen will. In beiden Fällen gilt: Descartes' Lehre, die Natur sei nichts anderes als ein Modell der Mechanik, ist cum grano salis zu nehmen. Er verteigt nur die Korrektheit der Geometrie bzgl. dieses Modells, nicht die Vollständigkeit. Er gesteht sich oder anderen Überzeugungen zu, die sich auf nicht mathematisch darstellbare Differenzen zwischen ausgedehnten Substanzen beziehen. Das heisst aber auch: er kann im Ganzen zwar die Stringenz und Korrektheit des mathematischen Abbilds (bzw. Vorbilds) der Natur fordern, nicht aber dessen Vollständigkeit. Der Fall des Abendmahl ist nur ein etwas kurioserer als der der res cogitans, auf die sich Descartes' mathematische Erzählung als solche ebenfalls nicht erstreckt. Fraglich ist natürlich, ob die naturwissenschaftliche Unerreichbarkeit der res cogitans auch lediglich ein Dogma vom status der Abendmahlslehre ist; und in dieser Frage ist momentan noch nichts gewonnen. |