honnêteté

  • 'personale Intelligenz': siehe Goleman p. 59, 63.

Pascal, Pensées, Les Regles du Langage, l'Honnêteté.

Il faut qu'on n'en puisse [dire], ni: "Il est mathématicien", ni "prédicateur", ni "éloquent", mais "Il est honnête homme". Cette qualité universelle me plait seule. (...) Il faut donc un honnête homme qui puisse s'accomoder à tous mes besoins généralement (Brunschvigk I, 36).

Annäherung

Richelieu (1585-1642) spricht in seinem Testament Politique (bekanntlich) von drei Notwendigkeiten, denen er sich gegenüber gesehen habe:

  1. Das Ansehen des Königs zu heben,
  2. die Macht des Adels zu zerschlagen und
  3. die Protestanten zu bändigen.

Darin spiegelt sich die politische Lage wieder, die auch Hintergrund für das Ideal der Honnêteté ist:

  1. Entmachtung des Adels und Aufbau einer absolutistischen Herrschaft des Königs und seiner Beamten,
  2. Gegenreformation und 30jähriger Krieg.

Richelieu formuliert dort, im Testament Politique, auch folgende Anforderungen an den Staatsmann seiner Zeit:Er benötige, statt umfassender Bildung,

  • Entschiedenheit im Denken,
  • ein klares Urteilsvermögen,
  • eine angemessene Vertrautheit mit der Literatur und
  • eine allgemeine Kenntnis der Geschichte.

Das Ideal der Honnêteté ist zum großen Teil ein entsprechendes Bildungsideal: statt umfassender Kenntnis der theoretischen Schriften geht es hier eher darum, praktische Klugheit zu entwickeln, wozu insbesondere die Kenntnis der Geschichte durch Beispiele beitragen kann.

Nationalstaaten

In den 60er Jahren des 17. Jh. hören in ganz Europa die Ständeversammlungen auf, zusammenzutreten. Die Macht fällt an den König und dessen Staatsapparat. Die unmittelbaren Berater der Könige, wie De Witt, Richelieu, Mazarin, stammen nicht aus dem Hochadel, Cromwell sogar aus dem Bürgertum. Durch die Einebnung der Standesunterschiede, was die politische Macht angeht, werden neue Verhaltensregeln erforderlich:

(Ideal der Honnêteté:)"die Idealvorstellung eines allseitig und gleichmäßig vollkommenen Menschen", die "nicht nur vom Humanismus allein getragen wurde, auch die spätfeudale, vom Absolutismus wiederaufgenommene, durch platonisierende Tendenzen bereicherte Vorstellung vom vollkommenen Hofmann kam ihr zur Hilfe; und die (...) vermehrte Zahl derjenigen, die nach Teilnahme am geistigen Leben verlangten - teils dem Adel, teils dem städtischen Bürgertum angehörig - bedurfte einer Form des Wissens, die nicht spezialisierte Gelehrsamkeit war" (E. Auerbach, Mimesis, dargestellte Wirklichkeit..., Bern 1946, zit. nach Roger Zuber, die Theorie der Honnêteté, Ueberweg).

Die Blütezeit des Ideals ist zwischen 1640 und 1650, also im Laufe der Entwicklung, die in den 60er Jahren ihres Abschluß nimmt.

Die honnêteté zielt (...) letzten Endes auf die Umgänglichkeit und 'Verträglichkeit' des Menschen (...). Die Überzeugungskraft dieses Leitbilds ist darauf gerichtet, daß es den Menschen in seiner Menschlichkeit anspricht, den Menschen als geselliges Leben, als Zoon Politikon (Werner Kraus, Über die Träger der klassischen Gesinnung im 17. Jahrhundert, Die Innenseite der Weltgeschichte, Reclam 1983, p. 89).

Diese Umgänglichkeit und allgemeine Menschlichkeit wurde durch die Integration verschiedener Stände innerhalb einer sich umstrukturierenden Gesellschaft erforderlich.

Eine politische Bewegung konnte in jenem Jahrhundert nicht mehr vordringen, wenn sie die Sorge ums Ganze nicht wenigstens zum Vorwand machte. Die Sublimation des aristokratischen Standesbegriffes ist dadurch zustande gekommen, daß der Adel sich in Beziehung setzte zu den Werten des Humanismus und der bürgerlichen Kultur. Damit vermochte er es, die Enge seiner Sonderstellung durchbrechend, den dritten Stand in jene Sphäre emporzuziehen, in der die Unterschiede der Geburt nebensächlich werden und eine völlig neue Art der zwischenmenschlichen Beziehungen sich anbahnt. Der neuentstandene Typus ist nicht mehr bestimmt durch das Sein, sondern durch das Gelten, durch sein Verhältnis zu anderen.

Wenn hier von 'Geltung' die Rede ist, darf auch unmittelbar ans Geld gedacht werden. Das Geld tritt gerade durch seine Wirkung in Erscheinung, arm zu machen. Unterschiede, die bisher durch Geburt und Bildung feststanden, werden neu gezogen oder zementiert. Siehe hierzu das Edikt von 1604, die sog. 'Paulette': Geld gegen 'Substanz' (d.i. Adelstitel).

In der Fronde, zwischen 1648 und 1653, hatte sich in Frankreich eine staatlich-gesellschaftliche Krise ausgedrückt, deren Anlaß die Finanzpolitik von Richelieus Nachfolger Mazarin war ('Mazarinades'). Ab 1650 artet die Fronde zu einem Bürgerkrieg aus, an dem auch La Rochfoucauld beteiligt ist. Durch sein Scheitern läßt sich seine zynische Haltung gegenüber den Idealen des Hofadels erklären. Thweatt:

For La Rochefoucauld honnêteté is the lifeline that sustains the unregenerate self in the monstrous sea of amour-propre (240f.)

Honnêteté is (...), rather, a genuine vraisemblance that is an earnest of the hoped-for Vrai (p. 241)

La Rochefoucauld demontiert, trotz seiner zynischen Analysen, nicht das Ideal der Honnêteté, sondern vielmehr den allzu oberflächlichen Appell daran (p. 245).

Dies sind bereits Analysen im Rückblick. Das Ideal der Honnêteté, wie es Nicolas Faret, Chevalier de Méré, Saint-Evremond beschreiben, läßt sich unter zwei Aspekten betrachten: (i) als Bildungsideal, (ii) als Handlungsideal.
(Siehe Fr. Ueberweg, Grundriß der Geschichte der Philosophie, begründet von Friedrich Ueberweg, Die Philosophie des 17. Jh., Bd. 2, Frankreich und Niederlande, Hg. Jean-Pierre Schobinger, Basel 1993.)

(i) Bildungsideal

Du pédantisme, Essais I, xxv.

... aussi l'action de l'esprit par trop d'étude et de matière, lequel, saisi embarrassé d'une grande diversité de choses, perde le moyen de se démêler; et que cette chare le tienne courbe et croupi.
(... so geht's dem Verstand bei zu vielem Studieren und zu vielen Materien, indem er bei zu großer Verschiedenheit von Gegenständen sich abstumpft und verwirrt und darüber versäumt, sich zu entwickeln; und diese Last verkrümmt und verkrüppelt ihn.)

De Vrai, le soin et la dépense de nos pères ne vise qu'à nous meubler la tête de science; du jugement et de la vertu, peu de nouvelles. (...) Nous ne travaillons qu'à remplir la mémoire, et laissons l'entendement et la conscience vide.
(Wirklich zielt die Sorge und der Aufwand unserer Väter für uns auf weiter nichts ab, als uns den Kopf mit Wissenschaften anzufüllen. (...) Wir arbeiten nur darauf, unser Gedächtnis vollzupfropfen, und lassen Verstand und Gewissen leer.)

Montaigne zeigt sich hier beeinflußt von Cicero, Tusc. Disp., Senecas Epistolae und den Geschichten des Diogenes Laertius. Siehe etwa Senca Epist. 105/6: non vitae, sed scholae discimus (!). Positives Gegenbild ist die Bildung der Seele gemäß Platons Gorgias:

Or il ne faut pas attacher le savoir à l'âme, il l'y faut incorporer; il ne l'en faut pas arroser, il l'en faut teindre; et, s'il ne la change, et améliore son état imparfait, certainment il vaut beaucuop mieux le laisser là (Siehe auch Seneca Epist 71).

Elle [= l'âme] peut voir et sentir toutes choses, mais elle ne se doibt paistre que de soy, et doibt estre intruitcte de ce qui la touche proprement, et qui proprement est de son avoir et de sa substance.
(Die Seele kann alles besehen und befühlen, aber nähren kann sie sich nur von ihrem eigenen Gehalt; sie soll nur lernen, was sie wirklich angeht, was wirklich ihr Besitz und ihre Substanz werden kann, Essais III, 10).

Die Fähigkeit, die Dinge auf gewinnende Art und Weise leicht zu nehmen, war eine gefürchtete Waffe, deren sich die Männer von Port Royal ebenso wie Malebranche gerne bedienten, um ihre gelehrten Gegner als schulmeisterlich erscheinen zu lassen und zum Schweigen zu bringen (Ueberweg).

Es ist weit mehr ein bestimmtes Bildungsideal als ein ethisches Ideal, das sich in dieser Beziehung ausspricht, und dieses Bildungsideal ist zunächst eher negativ als positiv orientiert. Es bezeichnet mehr eine Vorschrift dessen, was man in der echten Bildung zu meiden hat, als das, was man in ihr zu suchen hat (Cassirer, Descartes, p. 132).

Die Bildung betreffend grenzt sich der honnête homme gegen Pedanterie ab. Pedanterie ist eine Eigenschaft, die nach meiner Erfahrung Katholiken gern ihren protestantischen Gegnern vorwerfen.

Glaubenskriege (Anekdote)

Gustav Adolf, König von Schweden, war 1632 im dreißigjährigen Krieg gefallen. Prinzessin Christina von Schweden bittet um 1650 Descartes an den schwedischen Hof. Dieser beginnt seine Schrift 'Recherche de la Vérité', die er vermutlich dort geschrieben hat (Cassirer), mit den Worten:

Un honneste homme n'est pas obligé d'avoir veu tous les livres, ni d'avoir appris soignement tout ce qui s'enseigne dans les escholes; et mesme ce seroit une espece de deffaut en son education, s'il avoit trop employé de temps an l'exercise des lettres. Il a beaucoup d'autres choses à faire pendant sa vie, le cours de laquelle doit estre si bien mésuré, qu'il luy en reste la meilleure partie pour prattiquer les bonnes actions, qui luy devroient estre enseignées pas sa propre raison, s'il n'apprenoit rien que d'elle seule.
(Ein Honnête Homme muß weder alle Bücher durchgesehen, noch sich sorgfältig die ganze Schulweisheit angeeignet haben; es wäre sogar fast ein Fehler auf seinem Bildungsweg, wenn er zuviel Zeit für die gelehrte Bildung verwendet hätte. Er hat genug andere Aufgaben in seinem Leben, dessen Gang so eingeteilt sein muß, daß ihm der größere Teil für gute Taten verbleibt.)

Descartes selbst ist Jesuitenschüler, und die Jesuiten übernahmen eine führende Rolle in der Gegenreformation. Christina von Schweden wird nach seinem Tod bemerkenswerter Weise zum Katholizismus übertreten und abdanken.
Descartes eignet sich in der zeiterten Stelle den Begriff des 'honnête homme' an, um seine Grundeinstellung zur Wissenschaft zu beschreiben. Diese Haltung zeichnet sich grob aus durch

  • Die Forderung, selbst zu denken und jeden Wahrheitsanspruch genauestens zu prüfen,
  • die Anerkennung einer provisorischen Moral für praktische Zwecke,
  • einen deutlichen Bezug auf das rational handelnde Selbst,
  • einen Verzicht auf den traditionellen Substanzbegriff und eine Verlagerung auf die Frage nach der Berechenbarkeit von Vorgängen

(Parallel zum letzteren: die Möglichkeit, Adelstitel mit Geldmengen aufzurechnen.)

(ii) Handlungsideal

Montaigne, De l'utile et de L'honneste, III,1

Personne n'est exempt de dire des fadaises, Le malheur est de les dire curiesement.
(Niemand ist dagegen gefeit, daß er mal etwas Albernes sagt. Ärgerlich ist so etwas nur, wenn einer so etwas mit Pathos von sich gibt.)

Montaigne legt Wert auf eine offene Haltung:

Ceux qui disent communeément contre ma profession que ce que j'apelle franchise, simplesse et nayfveté en mes moeurs, c'est art et finesse et plustotst prudence que bonté, industrie que nature, bon sens que bon heur, me font plus d'honneur qu'ils ne m'en ostent. Mais certes ils font ma finesse trop fine;...

An anderer Stelle fordert Montaigne Eigenverantwortlichkeit und Selbständigkeit:

Les Hommes se donnent à louage. Leurs facultez ne sont pas pour eux, elles sont pour ceux à qui ils s'asservissent; leurs locataires sont chez eux, ce ne sont pas eux.
(Die meisten Menschen vermieten sich; sie verwenden ihre Kräfte nicht für sich, sondern für die, von denen sie sich beherrschen lassen: nicht sie selber sind bei sich zu Hause.

Handlungsfähigkeit spielt eine wesentliche Rolle für den Honnête Homme.Charron, ein Bekannter Montaignes und Author des sehr einflußreichen Werkes 'De La Sagesse' schreibt (II, 3):

(preud'hommie:) une droice et ferme disposition de la volonté à suivre le conseil de la raison.

Thweatt:

The preud'homme relies on rules rather than on knowledge, and he is endowed with an innate and unerring judgement that is totally devoid of feeling (p. 27).

Damit kommt die Charronsche preud'hommie nicht als Vorläufer der Honnêteté in Frage (p. 30), es bereitet aber den Weg. Dem Honnête Homme geht es im Gegensatz zu Charron zwar darum, allein dem eigenen gefestigten Willen zu folgen, die Basis für Willensentscheidungen kann aber nicht vollkommene Einsicht sein, sondern ein gebildeter Charakter.
Gerade weil die honnêteté letztlich auf einer Bildung des Charakters beruhen muß, soll sie durch Drama und Literatur vermittelt werden. Durch die Katharsis soll unmittelbar der Charakter gebildet und gefestigt werden (nicht einfach nur gereinigt).

Descartes beschreibt die entsprechende Tugend der Générosité als ein Verhältnis der Seele zu sich selbst. Die Seele bildet sich gewissermaßen, um sich dann auf sich verlassen zu können, wenn der Verstand nicht ausreicht.Der honnête homme des Descartes hört auf seinen Charakter, und hat zivilisierte Leidenschaften. Er handelt richtig nicht nur auf Grund seines Verstandes, sondern auch aufgrund seiner Passionen. Die Tugend des honnête homme, die Générosité, ist selbst eine Passion:

Descartes apelle Générosité ce sentiment que l'âme a d'elle-même quand elle sait ce qu'est son bien et que sa volonté le suit (art. CLIII).
La Générosité a donc pour principe l'arbitre comme elle l'a pour objet quand il est éclairé par l'idée du bien. Elle est sans doute une action puisqu'elle est une vertu (Vuillemin).

(Siehe Passions, art. CLII, CLX.)
Thweatt:

Générosité is not a role of heroic gloire but a reconciliation with the human condition at its maximum potential (p. 37).

(Passions 152, 156, 160, 161)

...where the preud'homme stifled passion, the généreuse puts it to work. The influence of matter on mind is accepted and indeed exonerated: the passions are 'toutes bonnes de leur nature' (...) This synthesis of passion, prudence, and perseverence (...) makes possible the 'libre disposition de ses volontés' (p. 37)

Siehe:
Passions 81, 83, 149, 155, 159,
La Rochefoucauls, Maxime 246 (Thweatt p. 126),
Epiktet, Montaigne ('manège').
Die Meisterschaft über die Passionen macht die freie Verfügbarkeit über den eigenen Willen erst möglich (Thweatt p. 38). Descartes macht damit den Versuch, 'to reconcile science and sagesse' (p. 39).

Siehe Descartes' Brief an Christina 1647 (AT V 81, das einzig Gute sei ein guter Wille).


 
 
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