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meditierende ego Previous: Das meditierende ego Die cartesische Metaphysik hat eine
doppelte Funktion. Erstens steht sie insofern am Anfang der
Wissenschaft, als in ihr die Möglichkeit von
Wissenschaftlichkeit überhaupt thematisiert wird.

Zweitens ist die Metaphysik selbst eine
Wissenschaft, die von der unkörperlichen Substanz handelt. Es
geht mir hier darum, die cartesische Metaphysik in letzterem Sinne
als die Wissenschaft von Gott und der unsterblichen Seele
darzustellen. Als Ziel seiner
Meditationen gibt Descartes
eben dies an: Es solle die Unsterblichkeit der menschlichen Seele
bewiesen werden und die Existenz Gottes.

Dies sind auch die Fragen, deren
Beantwortung er in seinem Widmungsschreiben an die Sorbonne
verspricht.

Descartes reiht
damit seine
Meditationen in eine Reihe anderer Schriften
de Deo & de Animâ ein. Ich werde in dieser Arbeit
ernst nehmen, dass Descartes seine Meditationen auch als Antwort auf
theologische Fragen präsentiert. Daraus lässt sich
zumindest erkennen,was Descartes unter anderem bereit war, unter dem
Geist der
Meditationenzu verstehen: die unsterbliche
Seele.Dazu, an der Unsterblichkeit der Seele zu zweifeln, hatte es
zwar in der Scholastik keinen Anlass gegeben. Sie zu erklären
und zu begründen, war im Rahmen der aristotelisch-scholastischen
Philosophie aber zu einem Problem geworden, seit man die Schriften
des Aristoteles mit anderen Augen las. Insbesondere Pomponazzis
Neubewertung der aristotelischen Seelenlehre hatte eine Kontroverse
ausgelöst, innerhalb derer eine Fülle von Versuchen
zustande kam, die Unsterblichkeit der Seele zu beweisen.

Pomponazzi hatte die Unsterblichkeit
der Seele ebenfalls nicht angezweifelt, aber behauptet, sie
könne nicht bewiesen werden.

Die Kirche hatte daraufhin alle
Philosophen dazu aufgerufen, sich nach Kräften um das Gegenteil
zu bemühen.

Marin Mersenne,
dem Descartes die Formulierung der Anrede und des Schlusses des
Widmungsschreibens überließ,

hatte 1623 ein umfangreiches Werk
verfasst, das mehr als hundert Beweise für die Unsterblichkeit
der Seele anführt.

Damit ist weder gesagt, dass Descartes
in den
Meditationen ,nur` theologische Fragen mit
philosophischen Methoden bearbeiten wollte, noch, dass er
philosophischen Fragen bloß ein theologisches Gewand gegeben
habe. Vielmehr scheint er nicht seine Philosophie dazu verwenden,
sich bei der Theologie anzubiedern, sondern gerade umgekehrt: Er
stellt einen philosophischen Gehalt theologischer Lehren heraus, an
dem ihm etwas liegt -- und er benutzt dazu die Form einer Abhandlung
de Deo & de Animâ. Er meint nämlich, mit
philosophischen Mitteln ein Problem bearbeiten zu können, das
die Theologie bloß auf ihre Art
formuliert.

Es ist, um fortzufahren, Mersenne, der
bemerkt, dass Descartes' Beweisziel nicht wirklich die
Unsterblichkeit der menschlichen Seele gewesen sein
könne. Er beklagt in den zweiten Erwiderungen, Descartes habe im
Text der
Meditationen nicht ein einziges Wort darüber
geschrieben.

Descartes
antwortet in einem Brief an Mersenne vom 24. Dezember
1640:
Was das angeht, dass Sie sagen, ich habe kein Wort
über die Unsterblichkeit der Seele verloren, so müssen Sie
sich darüber nicht wundern, denn ich wüsste nicht zu
beweisen, dass Gott sie nicht vernichten kann, sondern bloß,
dass sie von vollständig anderer Natur ist als der Körper
und also, dass sie keineswegs natürlicherweise mit ihm zusammen
dem Tod unterworfen ist.
Im selben Brief
kündigt Descartes an, er werde Mersenne eine kurze
Zusammenfassung der
Meditationen schicken.

In dieser Zusammenfassung, die den
Meditationen als
Synopsis vorangestellt wurde,
relativiert Descartes ebenfalls die Ankündigung, die
Unsterblichkeit der menschlichen Seele zu beweisen.

Neben der Existenz Gottes will
Descartes also genauer lediglich zeigen, dass der menschliche Geist
von dessen Körper verschieden ist. Daraus erst kann folgen, dass
er nicht gleichzeitig mit dem Tod des Menschen zu Grunde gehen muss.
Dass der bloße Körper des Menschen, als Materie gesehen,
nach dessen Tod weiterbesteht, daran wird bis heute allgemein nicht
gezweifelt. Es wäre also zu zeigen, dass die menschliche Seele
in ähnlicher Weise das Ende des menschlichen Lebens
überdauern kann wie der Körper. Dies dürfte auch der
Grund sein, warum Descartes bereits in der zweiten Meditation nicht
einfach vom
ego und seiner Natur spricht, sondern von der
Natur des
menschlichen Geistes.
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