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Gilbert Ryle hat den
traditionellen Begriff des Bewusstseins scharf kritisiert. Er
erklärt sich seinen Gebrauch anhand der folgenden
Geschichte.
Die Protestanten mussten sagen [können],
ein Mensch könne ohne die Hilfe von Priestern und Gelehrten den
moralischen Zustand seiner Seele kennen. Sie sprachen daher von einem
gottgegebenen ,Licht` des privaten Gewissens
(conscience). Als Galileos und Descartes' Darstellung der
mechanischen Welt zu erfordern schienen, dass die Geister
(minds) vor dem Mechanismus gerettet würden, indem man
sie so darstellte, als wären sie ein Duplikat der Welt, empfand
man das Bedürfnis, zu erklären, wie man sich der Inhalte
dieser geisterhaften Welt versichern könne, wieder ohne Hilfe
der Gelehrsamkeit, aber auch ohne die Hilfe der Sinnesempfindung. Die
Lichtmetapher schien besonders angemessen, da die galileische
Wissenschaft so sehr von der optisch erfahrbaren Welt handelte. [Der
Begriff] ,Bewusstsein` (conscience) wurde übernommen,
um in der mentalen Welt die Rolle zu spielen, die das Licht in der
mechanischen Welt spielte.
Diese Geschichte ist nicht
uninteressant, da Ryle es offenbar nicht den Protestanten übel
nimmt, dass sie ein Bewusstsein ihrer Seele und ihres Gottes
beanspruchten, sondern den Psychologen und Erkenntnistheoretikern,
dass sie es ihnen gleichtaten. Descartes gehört aber, wenn auch
nicht konfessionell, eher in die Ecke der Protestanten: Er hatte
seine Untersuchungen über das reine Denken angestellt, um mehr
über seine unsterbliche Seele und über Gott zu
erfahren. Bemerkenswerterweise beruft sich Descartes mit seiner Rede
vom Bewusstsein auch
nicht auf ein inneres Licht, das ihm
das Mentale sichtbar mache.Andreas Kemmerling hat belegt, dass
Descartes nicht an einer Theorie des Bewusstseins interessiert
war. Descartes verwendet den Begriff zwar an entscheidenden Stellen,
erläutert ihn aber, bis auf die angeführte Stelle,
nicht. Das, was Descartes Bewusstsein (
conscientia) nenne,
schreibt Kemmerling, sei lediglich eine gewisse
Weise des
Geistes, zu denken, nicht aber mit dem Geist selbst
gleichzusetzen. Descartes stelle das Bewusstsein überhaupt nicht
als etwas Dingliches dar, weder als einen Raum, noch als ein
Licht.
Das Bild vom Bewusstsein als einer Bühne, auf
welcher uns keine Darbietung entgehen kann - dies ist nicht
Descartes' Bild. Descartes hat, so weit ich sehe, kein Bild vom
Bewusstsein. Er vergleicht das Bewusstsein nicht.
Ryle hat gegen
die Cartesianer den Einwand erhoben, die Intentionalität einer
Handlung sei nicht durch das Vorangehen einer von der Handlung
verschiedenen Intention zu beschreiben. Vielmehr seien
Intentionalität und Bewusstsein adverbiale Bestimmungen,
lediglich bestimmte
Weisen, etwas zu tun.

Damit bringt er unfreiwillig
auf den Punkt, wie der Begriff des Bewusstseins auch bei Descartes
selbst zu verstehen ist.Den Begriff des Bewusstseins gebraucht
Descartes, um diejenigen Tätigkeiten denkender Menschen, die er
für unkörperlich hält, als solche
auszuzeichnen. Denktätigkeit ist, was dem Tätigen bewusst
ist, insofern es ihm bewusst ist. Damit ist Bewusstsein nicht ein
Bereich, innerhalb dessen die Denktätigkeiten vor sich gehen,
sondern es ist selbst eine bestimmte Art, tätig zu sein. Ich
hatte bereits angedeutet, dass das Denken dasjenige ist, das dem
Menschen eine Einsicht in die Mangelhaftigkeit der rein
körperlichen Orientierung am Nützlichen ermöglicht. Da
Descartes das Rechte (
rectum) als Gegensatz zum rein
Nützlichen behandelt, ist dieses Denken auch stets eine Einsicht
in das Rechte. Descartes definiert das Denken gerade deshalb als
bewusste Tätigkeit, weil auch er das Bewusstsein auch
als Rechts- oder Korrektheitsbewusstsein versteht. Denken ist
für Descartes jede Tätigkeit, insofern sie bewusst ist, und
das heißt, insofern sie gemäß einer noch nicht genau
bestimmten
normativen Orientierung geschieht.Die von Ryle
angesprochene Herkunft des Begriffes
conscientia, aus der
Moraltheologie ist also sehr ernst zu nehmen. Zwar bezeichnet
Descartes mit ,Bewusstsein` eine Qualität der
Denktätigkeiten, aber diese ist keine empirisch erfassbare,
sondern eine
normative Qualität. Der normative Aspekt
des Bewusst-seins drückt sich, meine ich, vor allem in der
Forderung nach der Widerspruchsfreiheit bewusster Gedanken
aus. Denkende Wesen tendieren dazu, Anstrengungen zu unternehmen,
wenn sie eine Widersprüchlichkeit ihrer bewussten Gedanken
erkennen. Anhand dieser Feststellung lässt sich geradezu die
Unterscheidung zwischen bewussten und unbewussten Gedanken
formulieren: Bewusste Gedanken seien solche, für die
Widersprüchlichkeit (Inkonsistenz) ein ernstes Problem
darstellt. Ob und wie es unbewusste Gedanken überhaupt gibt,
möchte ich an dieser Stelle offen lassen. So wie sie aber
gemeinhin beschrieben werden, scheint es, dass sie ohne weiteres zu
den bewussten und weiteren unbewussten Gedanken in Widerspruch stehen
können, nämlich ohne dass schon dadurch unmittelbarer
Handlungsbedarf entsteht.
Traditionell kam
das angesprochene Merkmal bewusster Gedanken, insgesamt einen
konsistenten Zusammenhang darzustellen, in der Deutung von
cogitatio als
co-agitatio durch
Augustinus zum Ausdruck. Dieser hatte in
seinen Bekenntnissen die
cogitatio entsprechend als eine
gewisse
Sammlung bezeichnet.

Auch Descartes bringt, andeutungsweise
in den sechsten Erwiderungen, zum Ausdruck, dass bewusste Gedanken
untereinander einen konsistenten Zusammenhang bilden sollen.Gegen
Descartes' Behauptung, der Intellekt sei verlässlicher als die
Sinne, hatten die Autoren der sechsten Einwände folgendes
Argument gesetzt: Wenn eine Täuschung der Sinne vorliege, so
werde diese nicht allein durch den Intellekt durchschaut, sondern
stets auf der Grundlage weiterer Sinnesdaten. Wenn es beispielsweise
scheint, ein Stab im Wasser sei gebrochen, so kann der Tastsinn diese
Auffassung korrigieren. Es scheint also nicht in erster Linie der
Intellekt zu sein, der die Sinne korrigiert, sondern die Sinne, die
sich gegenseitig korrigieren.

Descartes' Antwort hierauf ist
interessant. Sowohl der Fehler, als auch dessen Korrektur, schreibt
er, liegen nicht an den Sinnen selbst. Vielmehr findet der bedeutende
Schritt, der überhaupt einen Irrtum möglich macht, darin
statt, dass der Intellekt aufgrund der verschiedenen
Sinneseindrücke Urteile fällt.

Was ein solches Urteil aber im
beschriebenen Fall vornehmlich leistet, ist, dass es die
verschiedenen Sinneseindrücke
zueinander in Beziehung
setzt. Nur weil der Intellekt das Betasten des Stabes im Wasser als
ein Betasten eben des zugleich gesehenen Stabes auffasst, kann der
Gesichtssinn in einen Widerspruch zum Tastsinn geraten. Im Urteil
werden also die Sinnesempfindungen bewusst und dies ermöglicht
erst eine Verletzung der Forderung nach Widerspruchsfreiheit. Die
Bewusstheit besteht damit aber zuallererst darin, dass diese
Forderung
gilt.Das cartesische Bewusstsein kann also als
normative Orientierung verstanden werden. Als eigentlich bedeutsamer
und systematischer Kern des Bewusstseins als adverbialer Bestimmung
wird sich in dieser Arbeit die
Gewissenhaftigkeit
herausstellen.
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