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Zur dritten Frage, warum Descartes zu den Denktätigkeiten auch das Empfinden und die Einbildung rechnet, lässt sich Folgendes bemerken. Die verschiedenen Arten der cogitatio zählt Descartes unter anderem auch in der zweiten Meditation auf:
Was aber bin ich? Ein denkendes Etwas. Was ist das? Nun, ein zweifelndes, erkennendes, bejahendes, verneinendes, wollendes, nichtwollendes, auch eines, das sich etwas einbildet und empfindet.gif
In dieser Aufzählung sind die beiden offenbar körperlich bedingten Tätigkeiten des Geistes, die Einbildung und Sinnesempfindung, durch ein ,auch` (quoque) abgegrenzt.gif Damit deutet Descartes einen Unterschied zwischen Empfindungen und anderen Denktätigkeiten an, der sich auch im deutschen Sprachgebrauch zeigt. Zwar ist es denkbar, zu sagen:
,Mein Kopf schmerzt`, oder: ,Es juckt mich`,
aber nicht:
,Mein Hirn denkt`, oder: ,Es zweifelt mich`.gif
Die Intuition dahinter ist etwa, dass Denken, Zweifeln, Wollen und so fort stets Tätigkeiten eines ,Ich` sind, dass also ein Denkendes oder Zweifelndes grundlegende Eigenschaften der Wesen haben muss, die wir ,Ich` oder ,Du` nennen. Mit ,Ich`, ,Du` etc. sprechen wir Urheber einer Handlung oder Tätigkeit an. Urheber einer echten Empfindung ist dagegen nicht das ,Ich` allein, sondern sie ist stets auch eine Tätigkeit eines Nicht-Ich, indem nämlich das Ich im Kopfschmerz etwas erleidet, das sich in seinem Körper abspielt. Descartes schreibt in diesem Sinne: Das Denken ,empfinden` wir nicht wie den Kopfschmerz in unserem Kopf, sondern in unserer Seele.gifDie Einbildungskraft ist in anderer Weise körperlich. Zwar kann sie, schreibt Descartes in den Leidenschaften der Seele, in gewisser Hinsicht als Tätigkeit der Seele gelten, da ja der Wille eine Einbildung hervorbringen kann. Jedoch gibt es auch andere Einbildungen, an denen der Wille nicht beteiligt ist, und auch, dass der Wille allein zum Haben einer Einbildung ausreicht, ist nicht gesagt.gif Beispielsweise kann sich die Seele eine Vorstellung von etwas dadurch machen, dass sie die Lebensgeister (spiritus animales) dazu bewegt, in bestimmter Weise durch das Gehirn zu strömen.gif Dies kann die Seele aber nicht direkt, sondern nur indirekt bewerkstelligen. Sie kann die Lebensgeister selbst nicht willentlich bewegen, sondern nur an etwas denken, das ihre Bewegung hervorruft.gif Einbildung besteht also in der Bewegung eines Körperteils. In diesem Sinne ist die Einbildungskraft zwar mitunter willentlich, aber dennoch körperlich bedingt. In den Meditationen unterscheidet Descartes Einbildungskraft (imaginatio) und reines Denken (pura intellectio) folgendermaßen voneinander.  Während die imaginatio in der Hinwendung des Geistes zu einem gewissen Körper besteht, besteht die pura intellectio in der Richtung des Geistes auf sich selbst.gif Was er hiermit meint, erklärt er Burman:
Wenn Dinge der Außenwelt auf meine Sinne wirken und in diese ihre Form (idea) oder besser Figur einprägen, dann sagt man, der Geist nehme wahr (sentire), wenn er gewahr wird, wie sich diese Bilder in die [Zirbel]drüse einprägen. Wenn aber die Bilder nicht von Dingen der Außenwelt in die Drüse eingeprägt werden, sondern vom Geist selbst, der in Abwesenheit der Dinge der Außenwelt [die Bilder] im Gehirn hervorbringt und formt, dann ist das Einbildung.gif
Zunächst also besteht die Körperlichkeit in den Mitteln, anhand derer die Tätigkeit eines denkenden Menschen vonstatten geht. Im Fall der Einbildung bedient sich der Geist des Gehirns, um in dessen körperlicher Masse Bilder zu erzeugen, die er betrachten kann. Zu beachten ist hier, dass der Geist nicht etwa körperliche Dinge in sich aufnimmt, sondern dass er gleichsam seinen körperlichen Gehirnzustand betrachtet, sich ihm zuwendet.gifEntsprechend kostet die imaginatio auch mehr Anstrengung, da die Bilder aufrechterhalten werden müssen und der Blick auf sie gelenkt werden muss.gif Auch dadurch, dass die imaginatio überhaupt Anstrengung erfordert, muss sie körperlich genannt werden.Dass es Denktätigkeiten gebe, die ohne den Körper auskommen, scheint eine eigens cartesische Lehre zu sein. Die thomistische und jesuitische Lehrmeinung lautete vielmehr, Menschen seien auf Sinneswahrnehmungen und Emotionen angewiesen, um überhaupt erkennen zu können.gif Descartes spricht sich gegen diese Lehre aus.gifZwar besteht auch die reine intellectio darin, dass der Geist sich einer Sache zuwendet. Allerdings wendet er sich keiner körperlichen Sache, sondern sich selbst, also einer unkörperlichen Sache zu.Was es heißen soll, dass der Geist hier sich selbst affiziere, will ich in einem kleinen Exkurs andeuten. Im Discours hatte Descartes als den hauptsächlichen äußerlichen Unterschied zwischen denkenden Menschen einerseits, Tieren und geistlosen Automaten andererseits die Sprachfähigkeit  benannt.gif In einem Brief vom 23. November 1646 präzisiert er dies. Er schreibt dort, was den Menschen vom Tier und Automaten unterscheide, sei seine Fähigkeit, Zeichen zu geben, ohne unmittelbar auf eine Einwirkung oder Leidenschaft zu reagieren.gif Wesentlich sind also die Fähigkeit zum Umgang mit Zeichen und die Spontaneität. Die Zeichen, um die es Descartes hauptsächlich geht, sind diejenigen, die selbst für Denktätigkeiten stehen.gif Eine sprachliche Handlung, wie etwa die Beantwortung einer Frage, ist also kein rein körperlicher Akt, da sie nicht als solche im Vokabular der Physik identifiziert werden kann. Physikalisch gesehen geschieht beim Sprechen eines Menschen und bei der Sprachwiedergabe durch einen Automaten das gleiche. Der Unterschied ist, dass im Falle des Menschen Geist zu unterstellen ist, im Falle des Automaten nicht. Mit Geist Sprache von sich zu geben, heisst aber so viel wie Sprache zu verstehen.gif Wer verstehend auf eine Frage antwortet, reagiert nicht nur auf die physische Form dieser Frage, sondern auf ihren Sinn. In diesem Sinne wendet sich der Geist beim Antworten wieder dem Geist zu.
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