Next: ZusammenfassungUp: Denken Previous: node30.php Zur dritten Frage, warum Descartes zu den
Denktätigkeiten auch das Empfinden und die Einbildung rechnet,
lässt sich Folgendes bemerken. Die verschiedenen Arten der
cogitatio zählt Descartes unter anderem auch in der
zweiten Meditation auf:
Was aber bin ich? Ein denkendes
Etwas. Was ist das? Nun, ein zweifelndes, erkennendes, bejahendes,
verneinendes, wollendes, nichtwollendes, auch eines, das sich etwas
einbildet und empfindet.
In dieser Aufzählung
sind die beiden offenbar körperlich bedingten Tätigkeiten
des Geistes, die Einbildung und Sinnesempfindung, durch ein ,auch`
(
quoque) abgegrenzt.

Damit deutet Descartes einen Unterschied
zwischen Empfindungen und anderen Denktätigkeiten an, der sich
auch im deutschen Sprachgebrauch zeigt. Zwar ist es denkbar, zu
sagen:
,Mein Kopf schmerzt`, oder: ,Es juckt
mich`,
aber nicht:
,Mein Hirn denkt`, oder:
,Es zweifelt mich`.
Die
Intuition dahinter ist etwa, dass Denken, Zweifeln, Wollen und so fort
stets Tätigkeiten eines ,Ich` sind, dass also ein Denkendes oder
Zweifelndes grundlegende Eigenschaften der Wesen haben muss, die wir
,Ich` oder ,Du` nennen. Mit ,Ich`, ,Du` etc. sprechen wir Urheber
einer Handlung oder Tätigkeit an. Urheber einer echten Empfindung
ist dagegen nicht das ,Ich` allein, sondern sie ist stets auch eine
Tätigkeit eines Nicht-Ich, indem nämlich das Ich im
Kopfschmerz etwas erleidet, das sich in seinem Körper
abspielt. Descartes schreibt in diesem Sinne: Das Denken ,empfinden`
wir nicht wie den Kopfschmerz in unserem Kopf, sondern in unserer
Seele.

Die Einbildungskraft ist in
anderer Weise körperlich. Zwar kann sie, schreibt Descartes in
den
Leidenschaften der Seele, in gewisser Hinsicht als
Tätigkeit der Seele gelten, da ja der Wille eine Einbildung
hervorbringen kann. Jedoch gibt es auch andere Einbildungen, an denen
der Wille nicht beteiligt ist, und auch, dass der Wille allein zum
Haben einer Einbildung ausreicht, ist nicht gesagt.

Beispielsweise kann sich die Seele eine
Vorstellung von etwas dadurch machen, dass sie die Lebensgeister
(
spiritus animales) dazu bewegt, in bestimmter Weise durch das
Gehirn zu strömen.

Dies kann die Seele aber nicht direkt,
sondern nur indirekt bewerkstelligen. Sie kann die Lebensgeister
selbst nicht willentlich bewegen, sondern nur an etwas denken, das
ihre Bewegung hervorruft.

Einbildung besteht also in der Bewegung
eines Körperteils. In diesem Sinne ist die Einbildungskraft zwar
mitunter willentlich, aber dennoch körperlich bedingt. In den
Meditationen unterscheidet Descartes Einbildungskraft
(
imaginatio) und reines Denken (
pura intellectio)
folgendermaßen voneinander.
Während die
imaginatio in der Hinwendung des Geistes zu
einem gewissen Körper besteht, besteht die
pura
intellectio in der Richtung des Geistes auf sich selbst.

Was er hiermit meint, erklärt er
Burman:
Wenn Dinge der Außenwelt auf meine Sinne
wirken und in diese ihre Form (idea) oder besser Figur
einprägen, dann sagt man, der Geist nehme wahr
(sentire), wenn er gewahr wird, wie sich diese Bilder in die
[Zirbel]drüse einprägen. Wenn aber die Bilder nicht von
Dingen der Außenwelt in die Drüse eingeprägt werden,
sondern vom Geist selbst, der in Abwesenheit der Dinge der
Außenwelt [die Bilder] im Gehirn hervorbringt und formt, dann ist
das Einbildung.
Zunächst also besteht
die Körperlichkeit in den Mitteln, anhand derer die
Tätigkeit eines denkenden Menschen vonstatten geht. Im Fall der
Einbildung bedient sich der Geist des Gehirns, um in dessen
körperlicher Masse Bilder zu erzeugen, die er betrachten kann. Zu
beachten ist hier, dass der Geist nicht etwa körperliche Dinge in
sich aufnimmt, sondern dass er gleichsam seinen körperlichen
Gehirnzustand betrachtet, sich ihm zuwendet.

Entsprechend kostet die
imaginatio
auch mehr Anstrengung, da die Bilder aufrechterhalten werden
müssen und der Blick auf sie gelenkt werden muss.

Auch dadurch, dass die
imaginatio
überhaupt Anstrengung erfordert, muss sie körperlich genannt
werden.Dass es Denktätigkeiten gebe, die ohne den Körper
auskommen, scheint eine eigens cartesische Lehre zu sein. Die
thomistische und jesuitische Lehrmeinung lautete vielmehr, Menschen
seien auf Sinneswahrnehmungen und Emotionen
angewiesen, um
überhaupt erkennen zu können.

Descartes spricht sich gegen diese Lehre
aus.

Zwar besteht auch die reine
intellectio darin, dass der Geist sich einer Sache
zuwendet. Allerdings wendet er sich keiner körperlichen Sache,
sondern sich selbst, also einer unkörperlichen Sache zu.Was es
heißen soll, dass der Geist hier sich selbst affiziere, will ich
in einem kleinen Exkurs andeuten. Im
Discours hatte Descartes
als den hauptsächlichen äußerlichen Unterschied
zwischen denkenden Menschen einerseits, Tieren und geistlosen
Automaten andererseits die Sprachfähigkeit
benannt.

In einem Brief vom 23. November 1646
präzisiert er dies. Er schreibt dort, was den Menschen vom Tier
und Automaten unterscheide, sei seine Fähigkeit, Zeichen zu
geben, ohne unmittelbar auf eine Einwirkung oder Leidenschaft zu
reagieren.

Wesentlich sind
also die Fähigkeit zum Umgang mit Zeichen und die
Spontaneität. Die Zeichen, um die es Descartes hauptsächlich
geht, sind diejenigen, die selbst für Denktätigkeiten
stehen.

Eine sprachliche Handlung, wie
etwa die Beantwortung einer Frage, ist also kein rein
körperlicher Akt, da sie nicht als solche im Vokabular der Physik
identifiziert werden kann. Physikalisch gesehen geschieht beim
Sprechen eines Menschen und bei der Sprachwiedergabe durch einen
Automaten das gleiche. Der Unterschied ist, dass im Falle des Menschen
Geist zu unterstellen ist, im Falle des Automaten nicht. Mit Geist
Sprache von sich zu geben, heisst aber so viel wie Sprache zu
verstehen.
Wer verstehend auf eine Frage antwortet,
reagiert nicht nur auf die physische Form dieser Frage, sondern auf
ihren
Sinn. In diesem Sinne wendet sich der Geist beim
Antworten wieder dem Geist zu.
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