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Ideen von Substanzen
Der cartesische
Gottesbeweis arbeitet mit der Annahme, Unvollkommenheit sei ein
Mangel (
privatio). Einer Sache mangelt - in einem technischen
Sinne dieses Begriffs - an einer Qualität, wenn sie diese
prinzipiell haben kann. So sagt man etwa von einem Blinden, ihm
mangele die Fähigkeit, zu sehen, aber nicht von einem
Stein. Steine sind nicht blind, weil ihnen der Gesichtssinn zwar
fehlt, aber nicht
mangelt.

Descartes unterscheidet in der vierten
Meditation das bloße Fehlen (
pura negatio) vom Mangel
(
privatio). Ein Irrtum, schreibt er, bestehe nicht bloß
im Fehlen von Wissen, sondern sei ein Mangel an Wissen, das der
Irrende eigentlich haben müsste.

Im Falle des irrenden Menschen
resultiert das daraus, dass er das fehlerhafte Wissen bereits
anwendet, also so verfährt, als sei es
vollständig. Dadurch wird das Fehlen erst zum Mangel. Da der
Irrende sich auf ein Wissen verlässt, das letztendlich keines
ist, kann man sagen, er müsse eigentlich die Wahrheit
wissen. Wenn Descartes aber das Fehlen von Perfektion im Menschen
überhaupt als
Mangel seines Geistes auslegt, setzt er
bereits die Möglichkeit eines vollkommenen denkenden Wesens
voraus. Descartes nimmt an, es sei ein Denkendes ganz ohne Irrtum
möglich.Er verwendet dabei ein Prinzip, das Arthur O. Lovejoy
das
principle of plenitude genannt hat.

Dieses besteht in der Annahme, dass es
für jedes Mögliche einen Ort gebe, an dem dies wirklich
sei.

Dieses Prinzip liegt in
beispielhafter Weise der von Leibniz geprägten Modalsemantik zu
Grunde. Diese erläutert den Gebrauch des
Möglichkeitsbegriffes, indem sie ihn in Begriffe mehrerer
Wirklichkeiten übersetzt.

Etwas ist demnach möglich, wenn es
einen (möglichen) Ort gibt, an dem es wirklich ist. Diese Orte
sind die möglichen Welten des Leibniz und der leibnizsche Gott
entspricht dem, der alle möglichen Welten im Blick hat.Descartes
schreibt in der dritten Meditation entsprechend:
Schließlich begreife ich auch, dass der Gegenstand einer Idee
nicht von einem bloß Potentiellen hervorgerufen sein kann, das
ja eigentlich nichts ist, sondern nur einem wirklich oder
formaliter bestehenden.
Der Gottesbeweis der
dritten Meditation besteht in nicht viel mehr als der bereits
angedeuteten Argumentation. Das Zweifelnde ist endlich und es erkennt
sich als endlich, indem es zweifelt. Diese Endlichkeit ist, laut
Descartes, ein Mangel. Einen Begriff seiner Endlichkeit kann das
zweifelnde
ego nur zugleich mit einem Begriff der
Unendlichkeit haben, an der es ihm mangelt. Descartes schließt
daraus, dass das
ego den Begriff Gottes als eines vollkommenen
Wesens habe. Da dieser Begriff nicht aus dem endlichen Denken selbst
stammen könne, so lautet die Argumentation weiter, existiert
Gott als ein unendliches Denkendes außerhalb der
res
cogitans.Menschliche Notwendigkeiten sind für Descartes, wie
aus vielen Texten hervorgeht, stets Denknotwendigkeiten. Dass etwas
notwendig sei, heißt für Descartes: Wir können es
nicht anders denken.

Diese Notwendigkeiten des Denkens sind,
laut Descartes, unmittelbar von Gott eingerichtet, er selbst
unterliegt ihnen nicht. Ebenso sind die Möglichkeiten des
Denkens erst durch Gott gestiftet.
Über die ewigen
Wahrheiten sage ich, noch einmal, dass sie nur wahr oder möglich
sind, weil Gott sie als wahr oder möglich erkennt, nicht aber
dagegen von Gott als wahr erkannt werden, als ob sie unabhängig
von ihm wahr oder möglich wären.
Gott, schreibt Descartes,
habe unser Denkvermögen so eingerichtet, dass wir nicht als
möglich ansehen könnten, was ihm möglich war, bevor er
die ewigen Wahrheiten festgelegt habe.
Unser Geist ist endlich,
dazu geschaffen, dass er die Dinge als möglich erkennt, von dem
Gott in Wirklichkeit gewollt hat, dass sie möglich sind. Aber
[er ist] nicht dazu [geschaffen], auch noch das als möglich zu
erkennen, was Gott [sonst] hätte möglich machen
können.
Gott
ist so nicht nur als etwas zu verstehen, durch das Notwendigkeit und
Wahrheit in die Welt kommen, man kann darunter auch die Notwendigkeit
oder Wahrheit selbst verstehen. Gott ist das, was Möglichkeit
stiftet, aber er tut dies, indem er die Summe allen Möglichen
ist. Besser als zu sagen, Gott kenne die Wahrheit, wäre
zu sagen: Er ist sie.

Mit dem Verweis auf Gott beantwortet
Descartes die Frage ,Wie ist es möglich, dass etwas möglich
ist?` Er unterscheidet dabei offenbar zwischen einem Handeln, das
sich im Rahmen von Möglichkeiten bewegt und diesem Rahmen
selbst. Den Rahmen selbst führt er auf Gott
zurück. Deswegen ist Gottes Tat, den Rahmen der menschlichen
Möglichkeiten zu stiften, nicht selbst eine Handlung innerhalb
eines Rahmens von Möglichkeiten. Descartes schließt daraus,
dass für Gott nichts unmöglich ist, da es eine positive
oder negative Möglichkeit-für-Gott gar nicht geben kann.Die
wesentliche Funktion Gottes in der cartesischen Metaphysik ist also
die folgende. Durch ihn werden Möglichkeiten möglich, indem
er der Ort ist, an dem alle positiven Vollendungen wirklich sind.
Die Gottesidee ist die Idee einer unendlichen Menge von
Eigenschaften, beziehungsweise die der gesamten Menge aller
Vollkommenheiten. Gott
ist der Horizont aller
Möglichkeiten.Daher ist es für meine Zwecke unerheblich, ob
von aktualer oder potentieller Unendlichkeit die Rede ist, da beide
zu dem Begriff des Horizontes aller Möglichkeiten passen.

Gerade ein Horizont kann sich
abzeichnen als etwas, hinter dem immer noch etwas ist. Für ein
Verständnis dessen, wozu der Gottesbegriff bei Descartes dient,
reichen folgende Merkmale. (1) Gott denkt, (2) der Begriff von Gott
ist in jedem Denken vorausgesetzt und (3) er kann nicht aus einem
Endlichen abgeleitet werden.
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