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schließt ein, unvollständig und endlich zu sein. Durch die
Einsicht in seine eigene Unvollständigkeit gewinnt das Denken
die Idee Gottes.
Wenn ich mich beim Zweifeln betrachte
und sehe, dass ich eine unvollständige und abhängige Sache
bin, so kommt mir eine klare und deutliche Idee eines
unabhängigen und vollständigen Wesens, das Gott ist.
Zwar kann zu
allererst, wie in den Meditationen geschehen, das endliche Denken als
solches eingesehen werden, aber implizit ist damit bereits der
Begriff des unendlichen Denkens vorausgesetzt. Burman gegenüber
erläutert Descartes:
Wir können nämlich
oberflächlich unsere Unvollkommenheit vor Gottes Vollkommenheit
erkennen, weil wir uns betrachten können, bevor wir Gott
betrachten, und wir können auf unsere Endlichkeit
schließen, bevor wir auf die Unendlichkeit Gottes
schließen.Implizit jedoch muss immer die Einsicht in Gott und
dessen Vollkommenheit derjenigen in uns und in unsere
Unvollkommenheit vorangehen.
Dies gilt insbesondere
für den Mangel an Wahrheit und Gewissheit. Aus dem Zweifel, ob
p, folgt für Descartes, unter Anwendung des
principle of
plenitude, die prinzipielle Möglichkeit zu wissen, dass
p. Der Begriff Gottes folgt damit aus der Möglichkeit des
Denkens, zu irren.Nur durch den Gottesbegriff kann der Irrtum als ein
Mangel an etwas begriffen werden, nämlich als ein Mangel an
Wahrheit.Die Existenz Gottes ist in diesem Sinne die erste aller
Wahrheiten, aus der alle andere, auch bereits das
cogito sum,
folgen.

Dem scheint zu
widersprechen, wenn Descartes Gott als unbegreiflich beschreibt. Wenn
die Gottesidee nicht begreifbar ist, wie kann sie dann Voraussetzung
aller weiteren Erkenntnis sein? Für Descartes reicht aber ein
unbildlicher, relativ inhaltsarmer Gottesbegriff aus. Niemand braucht
sich unter dem unendlichen Wesen etwas
vorstellen zu
können, vielmehr ist sein Begriff bereits in dem
Eingeständnis gefasst, man könne sich so etwas
nicht vorstellen.

Descartes unterscheidet in einem Brief
vom 27. Mai 1630 das Begreifen (
comprendre) vom Wissen oder
Kennen (
sçavoir).
Ich sage ,ich weiß`
und nicht, dass ich erfasse oder verstehe, denn man kann wissen, dass
Gott unendlich und allmächtig ist, auch wenn unsere Seele
endlich ist und ihn weder verstehen noch begreifen kann. Ebenso
können wir mit den Händen wohl einen Berg berühren,
aber ihn nicht umfassen wie einen Baum (...): Denn begreifen, das ist
Umfassen mit dem Geiste, aber um etwas zu kennen, reicht es, es mit
dem Denken zu berühren.
Der Idee, die wir von
Gott haben, entspricht metaphorisch eine
Berührung mit
dem Unendlichen, das wir nicht begreifen können.

In den Meditationen spricht
Descartes vom `einem gewissen anrühren' oder `erreichen' der
Gottesidee.

Auch die
anima
separata der Scholastiker hatte Gott durch eine Berührung
erkannt.

Wie man etwas
kennen kann, ohne es zu begreifen, erläutert Descartes noch auf
andere Weise. Er schreibt, die Idee Gottes sei nicht nur klar und
deutlich, sondern die klarste und deutlichste von allem Ideen. Nicht
zuletzt deswegen ist Gott die erste aller Substanzen. Das Merkmal,
das die Gottesidee als deutliche von allen anderen Ideen
unterscheidet, ist eben die Unbegreiflichkeit. Nur die Idee von etwas
unbegreiflichen kann von
allen begreiflichen Ideen
verschieden sein. Klar ist die Gottesidee nicht in dem Sinne, dass
alle Merkmale Gottes in ihr enthalten wären. Dies macht gerade
die Unbegreiflichkeit aus. Es sind aber zwei sehr wesentliche
positive Merkmale in der Gottesidee (oder genauer: der Vorstellung
ihres Gegenstands) enthalten. Erstens ist sicher, dass Gott unendlich
ist und alle Vollkommenheiten besitzt. Zweitens ist sicher, dass er
eine
Einheit ist.

Einen Begriff verwenden zu können,
bedeutet, Dinge unterscheiden zu können, auf die er passt, von
solchen, auf die er nicht passt. Wer den Begriff des Dreiecks
beherrscht, kann ebenso gut alle Dreiecke als solche identifizieren
wie alle Nicht-Dreiecke. Er kann sie nicht alle aufzählen, aber
die Frage ,Ist dies ein Dreieck?` kann er für alle Dinge,
Dreiecke und Nicht-Dreiecke, entscheiden. Der Begriff des Dreieckes
unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von dem des
Nicht-Dreiecks: Mit Letzterem ließe sich ebenso gut
umgehen.Genauso geht es mit den Begriffen des Endlichen und des
Unendlichen. Wer fragt ,Ist dies endlich?`, könnte genauso gut
fragen ,Ist dies unendlich?`. Wo die erste Frage mit ,Nein` zu
beantworten war, ist nun einfach ,Ja` zu antworten, die Verfahren
aber, die Frage zu entscheiden, bleiben dieselben. Beide Begriffe
setzen sich gegenseitig voraus, indem sie inhaltlich, bis auf
Negation, gar nicht verschieden sind.Nun kommt für den Begriff
des Unendlichen eine bedenkliche Eigenart hinzu. Etwas von anderem zu
unterscheiden, bedeutet oftmals, eine gewisse Endlichkeit beider
Begriffe aufzuzeigen. Der Bereich der Dreiecke ist in dem Sinne
endlich, dass man sagen kann, was nicht ein Dreieck ist. Man zieht
beim Gebrauch des Begriffes ,Dreieck` eine Grenze zwischen zwei
Bereichen, dem der Dreiecke und dem der Nicht-Dreiecke. Damit sind
beide Bereiche umgrenzt und nicht allumfassend. Der Begriff des
Unendlichen, wenigstens der der Unendlichkeit Gottes, arbeitet aber
mit der Unterscheidung der Eingegrenztheit von der
Nicht-Eingegrenztheit selbst. Gott
ist allumfassend, alles
andere nicht. Daher ist die Idee des Nicht-Eingegrenzten implizit in
jeder Idee eines Eingegrenzten enthalten.
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