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Substanzielle Einheit

Descartes spricht in Verbindung mit dem Menschen mitunter von einer substanziellen Einheit.Dies hat, unter anderen,gif Paul Hoffman dahingehend interpretiert, dass der lebende Mensch für Descartes ebenfalls eine Substanz sei.
Ich verstehe Descartes so, dass er durch den Gebrauch der Wendung ,substanzielle Einheit` nicht nur meint, die Einheit sei eine Einheit zweier Substanzen, was er auch für richtig hält, sondern dass das Resultat der Einheit selbst eine Substanz ist.gif
Die Möglichkeit, die Wendung von der substanziellen Einheit so aufzufassen, als nenne Descartes ihr Produkt Substanz, etabliert für Hoffman sogleich eine Tatsache, mit der er weitere Annahmen stützen will:
Dass Descartes den Menschen als Substanz betrachtet, bietet weitere Evidenz dafür, dass er ein menschliches Wesen für ein genuines Individuum hält. Descartes benutzt die Begriffe ,Substanz`, ,ens per se` und ,vollständiges Ding` in austauschbarer Weise und sie alle, behaupte ich, sind gleichbedeutend mit meinen Begriffen ,Individuum` und ,genuine Einheit`.gif
Zuallererst hätte aber die Annahme, dass Descartes den Menschen als Substanz bezeichnen will, weiterer Belege bedurft. Die Stellen, an denen Descartes von einer substanziellen Einheit spricht, sprechen nicht für Hoffman.gif An Arnauld schreibt Descartes beispielsweise, er habe die substanzielle Einheit von Leib und Seele gezeigt.gif
In dieser sechsten Meditation, in der ich von der Verschiedenheit des Geistes vom Körper handle, habe ich zugleich bewiesen, dass er mit diesem substanziell verbunden ist, und ich habe Gründe angeführt, von denen ich mich nicht entsinne, anderswo stärkere gelesen zu haben.gif
Was waren dies für Gründe? Descartes hatte in der sechsten Meditation darauf hingewiesen, dass Sinnesempfindungen keine reinen Aktivitäten des denkenden Geistes zu sein scheinen, sondern sich vielmehr als von einer davon verschiedenen Außenwelt und einem Körper bewirkt zeigen.gifWenn nun sicher beweisbar wäre, dass das meditierende ego einen Körper hat, wäre nicht zuletzt das Beweisziel der Meditationen verfehlt. Es ging Descartes ja gerade darum, die Möglichkeit einer Trennung dieses ego vom Körper zu zeigen. Würde aus dem Anfang mit dem ,Ich denke` die Existenz der materiellen Körper unbezweifelbar folgen, so könnte es kein Denken ohne Körper geben.Die substanzielle Einheit ist also nicht mit letzter Klarheit bewiesen, sondern sie folgt lediglich der Wahrscheinlichkeit nach. Sie verhindert aber nicht, dass die Bereiche des rein Geistigen und rein Körperlichen letztendlich allein klar und deutlich erkannt werden können.
Diese substanzielle Einheit hindert einen nicht daran, einen klaren und deutlichen Begriff des Geistes allein als einer abgeschlossenen Sache zu haben.gif
Descartes sagt hier implizit gerade, dass und warum der Mensch nicht eine Substanz sei: weil er einen klaren und deutlichen Begriff nur vom Geist des Menschen als Abgeschlossenem, nicht als mit dem Körper Vereintem haben könne.Als es darum geht, seinem Schüler Regius Wege aus dem Kreuzfeuer der scholastischen Kritik zu zeigen,gif kommt Descartes auf die Rede von der substanziellen Einheit zurück. Er schreibt im Januar 1642 an Regius:
Du musst zudem stets, wo sich die Gelegenheit bietet, privat wie öffentlich, bekennen, dass du glaubst, der Mensch sei ein wirkliches Seiendes an sich selbst (verum ens per se), nicht aber aufgrund äußerer Umstände (per accidens), und dass der Geist mit dem Körper wirklich und substanziell verbunden sei, nicht dem Ort oder der Anordnung nach, wie du es in deiner letzten Schrift hast.gif
Das Gegenteil einer substanziellen Einheit ist also ein bloßes Zusammentreffen per accidens, etwa die bloße Gleichheit des Ortes. Wenn Descartes von substanzieller Einheit spricht, dann verneint er, dass der Geist lediglich zum Körper hinzutrete. Der mit dem Körper verbundene Geist unterscheide sich vielmehr hinsichtlich seiner Fähigkeiten von dem reinen Geist, indem er nämlich über Schmerzwahrnehmung und Sinnesempfindung verfüge.gif Durch das Zusammentreffen von Körper und Geist ändert sich nicht nur das Umfeld des Geistes, sondern dieser selbst, beziehungsweise seine Fähigkeiten. Dass auch Regius dies annimmt, hatte Descartes in einem vorangehenden Brief vom Dezember 1641 bemerkt.
Dort nämlich [in deiner zehnten These], sagtest du aus demselben Grund, die Seele und der Körper seien unvollständige Substanzen; und daraus, dass sie [als getrennte] unvollständig sind, folgt, dass das, was sie zusammengesetzt ergeben, ein Seiendes an sich selbst (ens per se) ist.gif
Unvollständig ist die unkörperliche Seele offenbar, insofern man sie als menschliche Seele anspricht.gif Es fehlen ihr nämlich wichtige Merkmale der Seele des lebenden Menschen. Sie hat keine Leidenschaften und keine Sinneswahrnehmungen. Das, was Descartes Substanz nennt, die unsterbliche Seele, ist daher nicht mit dem lebenden Menschen identisch. Den lebenden Menschen jedoch nennt Descartes an keiner Stelle Substanz.gif Dies wäre auch weder mit seinem starken, noch mit seinem schwachen Substanzbegriff vereinbar. Eine Substanz im schwachen Sinne, so wie eine Hand oder ein Stein, kann der Mensch nicht sein, da er dann ein Teil einer größeren Substanz sein müsste. Aber nur in der Welt der teilbaren Dinge kann es auch Teile von Substanzen geben. Als Teil einer größeren Substanz kann lediglich der Körper des Menschen bezeichnet werden.Substanz im starken Sinne kann der Mensch nicht sein, da er in einer Vermischung besteht.
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