Next: Reale QualitätenUp: Der Mensch: das undeutliche Previous: Begriffe von Vermischtem Seele individuiert LeibDescartes unterscheidet nicht nur reine Denktätigkeiten von solchen, die körperlich bedingt sind, sondern er unterscheidet auch den rein physikalischen Körper vom menschlichen Leib. Wenn wir ihn fragen, was diesen Leib zu einer abgrenzbaren Einheit macht, so antwortet er: Es ist seine Seele. Dies kann als Leerformel für eine mögliche Antwort stehen gelassen werden, bis uns klar wird, wie Descartes das Wort Seele gebraucht, wenn er es zu diesem Zweck gebraucht.Es ist bekannt, dass der menschliche Leib nur mit Mühe als materielle Einheit gelten kann. Was geschieht, wenn Materie den Körper verlässt und neue aufgenommen wird? Ein Biologe oder Mediziner, wenn er den menschlichen Körper als Einheit behandeln will, benötigt den Begriff des Organismus als einer Form, die ihre Identität wahrt, auch wenn die Materie beständig sich erneuert. Descartes sieht in der Seele eben den Faktor, der es uns ermöglicht, menschliche Körper über einen längeren Zeitraum als numerisch identisch zu bezeichnen. In einem Brief an Mesland vom 9. Februar 1645 macht Descartes dies deutlich:Zunächst betrachte ich, was der Körper eines Menschen ist, und ich finde, dass dieses Wort ,Körper` sehr mehrdeutig ist.Wenn ein Mensch Brot isst und verdaut, schreibt Descartes weiter, so können wir fortan in zwei Weisen von den Partikeln dieses Brotes sprechen. Einerseits können wir sie als Teil seines Körpers klassifizieren, da sie mit seiner Seele verbunden sind. Andererseits können wir, sofern es uns gelingt, ihre Geschichte bis in die Organe des menschlichen Körpers genau zu verfolgen, sie immer noch ebenso als Brotpartikel bezeichnen wie zuvor.Die Seele (âme) tritt hier als das in Erscheinung, das den menschlichen Körper zu einer organisch-stofflichen Einheit macht. Die Seele als Individuationsprinzip tritt mittelbar auch in den Meditationen in Erscheinung. Jean-Luc Nancy hat auf eine interessante Schwierigkeit bei der Übersetzung der Meditationen ins Französische hingewiesen. Es handelt sich um eine Stelle aus der sechsten Meditation: Es ist gewiss, dass ich tatsächlich von meinem Körper verschieden bin und ohne ihn existieren kann.Louis Charles d'Albert Duc de Luynes hat dies zu Lebzeiten Descartes' ins Französische übersetzt. Da er in dieser Übersetzung, wie auch Descartes in seinen französischen Texten, nicht zwischen Seele (anima) und Geist (mens) unterschied, sah er sich zu einer Ergänzung gezwungen: Es ist gewiss, dass dieses Ich, das heißt meine Seele (âme), durch die ich das bin, was ich bin, tatsächlich vom Körper verschieden ist und dass sie ohne ihn existieren kann.Der Übersetzer greift damit freilich nur eine Formulierung auf, die Descartes bereits selbst im Discours gebraucht hatte: (...) Ich, das heißt die Seele, durch die ich das bin, was ich bin (...).Hier tritt deutlich zu Tage, dass auf zwei Weisen von einem Ich die Rede sein kann. Das erste Ich ist in diesem Falle das ego der Meditationen, das feststellt, dass es sich von seinem Körper unterscheidet und denkt. Das zweite Ich aber ist dasjenige, von dem man sagen kann es habe eine Seele. In der Wendung ,Ich, das heißt meine Seele` ist im selben Atemzug von beiden die Rede. Denn wessen Seele ist ,meine` Seele? Es ist nicht die Seele der res cogitans, denn die res cogitans ist selbst der Geist, von dem im lateinischen Original die Rede war und der hier ,meine` Seele sein soll. Die res cogitans hat keinen Geist, sie ist selbst Geist.In Betracht kommt noch, dass es der Mensch ist, der beides ,hat`: eine Seele (mens) und einen Körper (corpus). In der Übersetzung lässt sich dann nur das erste ,Ich` auf das meditierende ego der Meditationen beziehen. Es wird erläutert im Nebensatz, und zwar sei es ,meine` Seele, welche wiederum das sei, ,durch welche ich bin, was ich bin`. Damit unterstellt Descartes, dass die Seele den Menschen zu dem macht, der er ist. Und von eben diesem, das den Menschen zu dem macht, was er ist, soll als erwiesen gelten, dass es auch ohne den menschlichen Körper qua res extensa bestehen könne.Der Leib, den ein Mensch hat, ist nicht im strengen Sinne die res extensa. Der Mensch hat den Leib nämlich nicht insofern als ein und denselben, als dessen Materie dieselbe bleibt. Es können ja die materiellen Teile des menschlichen Körpers, wenigstens über einen längeren Zeitraum, vollständig wechseln. Der menschliche Leib bleibt dennoch derselbe. Das bedeutet auch, dass der Leib in gewisser Weise unteilbar ist. Der menschliche Körper ist also nur dadurch etwas, was der Mensch haben kann, dass die Seele ihm eine Einheit gibt. Zwar ist die Seele nicht das, was den Körper aktiv zu ihrem Leib formt, aber es liegt nur an ihrer Anwesenheit, dass er überhaupt ,Leib` statt ,Körper` genannt werden kann. Da die cartesische Physik nicht von der Seele handelt, kann sie nicht vom Leib, sondern nur vom Körper handeln. Zu der Unterscheidung zwischen Geist und Körper aus den ersten fünf Meditationen kommt durch die nun nicht mehr nur präzise Redeweise eine neue hinzu, die nicht mit ihr zusammenfällt. Es ist dies die Unterscheidung zwischen der verkörperten Seele und dem beseelten Leib des lebenden Menschen. Die letztere Unterscheidung tritt nicht als präzise Unterscheidung im Rahmen der cartesischen Physik oder Metaphysik auf. Next: Reale QualitätenUp: Der Mensch: das undeutliche Previous: Begriffe von Vermischtem |
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