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Seele individuiert
Leib In
der Physik lehnt Descartes die Rede von einer Seele als Formprinzip
eines Körpers bekanntlich ausdrücklich ab.

Er scheint also, wenn er die
Seele als Form des menschlichen Leibes bezeichnet, inkonsequent zu
sein.
In einem Brief an Elisabeth vom 29. Juli
1648 vergleicht Descartes die Beseeltheit des menschlichen
Körpers mit der Schwerkraft, die andere Philosophen den
Körpern zugeschrieben haben.

Er betont zwar, dass er nicht glaube,
Körper hätten eine solche reale Qualität wie die
Schwerkraft.

Die Art und Weise,
wie der Geist im Körper sei, könne man sich aber durchaus
so vorstellen, wie andere sich das Sein der Schwerkraft in den
Körpern vorgestellt haben. Descartes scheint sich hier zu
widersprechen. Einerseits lehnt er die Rede von realen
Qualitäten wie der Schwerkraft ab, andererseits verwendet er sie
in Bezug auf das Verhältnis zwischen Geist und Körper. Hat
Descartes etwa seine grundsätzliche Meinung
aufgeben
müssen, es gebe keine realen Qualitäten? Dann wäre er
am psychophysischen Problem wahrhaft gescheitert.Um dies genauer zu
prüfen, müssen die Gründe untersucht werden, die
Descartes gegen die Annahme realer Qualitäten angeführt
hatte.
- Erstens wendet Descartes gegen die Annahme realer
Qualitäten zur Erklärung von Sachverhalten innerhalb der
Natur ein, dass solche Annahmen überflüssig seien. Er
schreibt in einem Brief an Morin vom 13. Juli, alle derart
erklärten Phänomene könnten auch anhand seiner
eigenen, sparsameren Physik erklärt werden.
Wenn man
dann ihre Annahmen [die der Philosophen] mit meinen vergleicht, das
heißt all ihre realen Qualitäten, ihre
substanziellen Formen, ihre Elemente und
ähnliche Dinge, deren Anzahl beinahe unendlich ist, mit der
einen, dass alle Dinge aus gewissen Teilen bestehen (...), dann hoffe
ich, dass dies reicht, um jene, die nicht allzu voreingenommen sind,
davon zu überzeugen, dass die Wirkungen, die ich erkläre,
keine anderen Ursachen haben als die, auf die ich sie
zurückführe.
- Zudem seien die
Ursachen, die Philosophen angeben, wenn sie von realen
Qualitäten oder substanziellen Formen wie der Schwerkraft
sprechen, selbst erläuterungsbedürftig. Gerade durch seine
geringere Zahl einfacherer Begriffe, schreibt Descartes in Le
Monde, kann diese Erläuterung geleistet werden.

- Ein drittes Argument
gegen die Annahme realer Qualitäten ist, dass ihre Annahme eine
Vermischung anthropologischer und natürlicher
Erklärungsmuster darstelle. In einem Brief an den Abbé de
Launay vom 22. Juli 1641 schreibt Descartes:
Man muss
wissen, dass die Urteile, die wir von Kindheit an fällen, und
ebenso die der populären Philosophie, uns daran gewöhnt
haben, den Körpern mehr von dem zuzuschreiben, das [eigentlich]
nur zur Seele gehört, und der Seele mehr von dem, das nur dem
Körper angehört.
Von einem Körper zu
sagen, er strebe nach unten, unterstellt dem
Körper ein Streben und eine Kenntnis der Richtungen. Dies aber
heißt, dem physikalischen Körper etwas zu unterstellen, das
nur der menschlichen Seele zukommt. - Schließlich kehrt
Descartes die Richtung des Vergleiches zwischen Schwerkraft und
Beseeltheit um, indem er kritisiert, die richtige Auffassung von
einer Beseeltheit des Menschen werde im Bereich der
Naturerklärung falsch angewendet, wenn von Schwerkraft die Rede
sei. Die realen Qualitäten haben gerade in der Lehre von der
Einheit von Seele und Leib ihren eigentlichen Sinn und der Fehler
bestehe nur darin, sie von dort in das Gebiet der Mechanik
übertragen zu wollen. An Mersenne schreibt Descartes am
26. April 1643:
Ich nehme keine realen Qualitäten in
der Natur an, die etwa so mit der Substanz verbunden wären wie
kleine Seelen mit ihren Leibern und die von ihm durch göttliche
Einwirkung getrennt werden könnten. 
Dass mitunter Seelen mit
Leibern verbunden seien und dass sie durch GottesEinwirkung getrennt
von diesen Leibern bestehen können, leugnet Descartes hier
gerade nicht. Er bestreitet nur, dass innerhalb der Physik anhand
solcher Seelen argumentiert werden solle. In den sechsten
Erwiderungen schreibt er, man habe die Idee der Gravitation
derjenigen der Beseeltheit nachgebildet.
Einem Körper Schwerkraft als eine
reale Qualität zuzuschreiben, bedeutet also geradezu, eine
,kleine Seele` zu unterstellen, die mit ihm verbunden
wäre. Dieses Verfahren will Descartes im Bereich der
Natur nicht gelten lassen. Descartes fordert hier, das
Menschliche aus der Welt der Physik geradezu herauszunehmen. Das
bedeutet natürlich, dass das Menschliche nicht physikalisch ist
und daher im Bereich der Rede von Menschen durchaus in
unphysikalischer Weise gesprochen werden darf.
Gegen die Annahme von Finalursachen
argumentiert Descartes in ähnlicher Weise.

Finalursachen von etwas geben seinen
Zweck an. Descartes fordert nun, nicht über Zwecke von Dingen zu
sprechen, deren Urheber wir nicht kennen. Da aber der Urheber der
ausgedehnten Natur Gott ist und wir ihn nicht ausreichend kennen,
verbietet sich die Behauptung von Finalursachen im Bereich der
Natur. Anders liegt auch hier der Fall bei Handlungen von Menschen.

Und auch sofern es um das
Verhalten von Tieren geht, ist die Rede von Finalursachen nicht
schlechthin zu vermeiden. Schließlich können wir die
Absichten und Ziele von Menschen und vielleicht auch von Tieren
hinreichend gut kennen.Die Forderungen, die Descartes an eine
wissenschaftliche Begriffsbildung der Physik stellt, betreffen also
mit Sicherheit nicht die Rede von der menschlichen Seele.Dass die
physikalische Natur derart strikt von der geistigen Welt zu trennen
sei, versteht sich für einen cartesischen Dualisten freilich von
selbst. Erstaunlicher ist, dass es hier um eine strikte Trennung des
Menschlichen von der körperlichen Natur geht. Die Seele
ist ja nicht als reale Qualität zu verstehen, insofern nur vom
reinen Geist die Rede ist. Denn dann wäre unklar, wessen
Qualität sie sein solle. In der Rede über den Menschen,
nicht etwa in der reinen Metaphysik, wird die Rede von realen
Qualitäten erst sinnvoll. Voneinander getrennt sind damit drei
Redebereiche.

Zunächst ist
die Rede vom reinen Geist strikt von der Rede vom bloßen
Körper zu unterscheiden. Für beide gibt es klare und
deutliche Begriffe. Über die Seele oder den Leib des Menschen
kann allein mit diesen klaren und deutlichen Begriffen
(
præcise tantùm) jedoch nicht gesprochen
werden. Erst in dem dritten Bereich, der nicht mehr nur präzisen
Rede vom ganzen Menschen, kann von Seele, Leib und deren Verbindung
gehandelt werden. Hier kann auch weiterhin von realen
Qualitäten, substanzieller Einheit und Finalursachen die Rede
sein. Anscheinend hat Descartes einen Bereich von seinen Neuerungen
in der Begriffsbildung ausgenommen. Für die Rede von der Einheit
von Leib und Seele belässt er die alten, sonst überholten
Begriffe in Gebrauch.In Bezug auf den letzteren Redebereich spricht
sich Descartes offenbar nicht gegen finalistische Erklärungen,
etwa anhand von Zwecken und Absichten, aus.
Insofern die cartesische Medizin von
beseelten, nämlich menschlichen Körpern handelt, kann auch
sie sich solcher Erklärungen bedienen.
Nur so
konnte Descartes der Prinzessin Elisabeth von Böhmen auch den
Rat geben, ihr Gemüt aufzuheitern, um ein Fieber zu heilen.
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