Next: Unterwegs zum
IndividuumUp: Gewissenhaft entscheiden Previous: Sünde und Irrtum
Descartes hatte den
reinen Geist gesucht, indem er jegliches mittelbare Erleben und
Handeln ausklammerte.

Nur das unmittelbare Erleben und
Handeln rechnet Descartes zu den reinen Denktätigkeiten. Das
ego, so weit es
unmittelbar erlebt und handelt, kann
allein ein sicheres Fundament für eine Wissenschaft abgeben.
Damit setzt Descartes nichts anderes in
die Tat um, als den Entschluss, alle Schuld oder Verantwortung
für das Handeln im Ernstfalle selbst tragen zu wollen.

Er isoliert als den reinen
Geist genau dasjenige, wofür ein handelnder Mensch unmittelbar
und uneingeschränkt Verantwortung übernehmen kann.Alle
wissenschaftlichen Sätze sollen derart unmittelbar gesichert
sein, dass ihre Verlässlichkeit allein durch diejenigen, die
Wissenschaft treiben, garantiert werden kann. Es soll für einen
wissenschaftlich und unmittelbar Erkennenden keine Entschuldigung
mehr durch Berufung auf widrige Umstände geben
können. Gerade dies zieht der Ausschluss jeglicher Mittelbarkeit
nach sich. Ob es unmittelbares Wissen überhaupt geben kann, ist
zweitrangig. Wichtiger ist überhaupt der
Vorsatz des
cartesischen Wissenschaftlers, alle Wahrheit nur als unmittelbare zu
akzeptieren. Descartes fasst diesen Vorsatz ausdrücklich am Ende
der vierten Meditation.
Diese [Wahrheit] werde ich in der
Tat erreichen, wenn ich allein auf alles das achte, das ich
genügend vollkommen erkenne, und es von dem Übrigen
scheide, das ich in vermischter und dunkler Weise auffasse.
Damit fordert
Descartes einerseits, nur das Unmittelbare als wahr anzuerkennen. Er
fordert damit im gleichen Zuge vom
ego, dort keine Wahrheit zu
behaupten, wo es nicht unmittelbar für sie einstehen kann. Mit
anderen Worten: Das
ego soll für die Wahrheit aller
Sätze, die es unter dem Titel der Wissenschaftlichkeit
behauptet, die volle Verantwortung übernehmen.

In seinem Vorwort an den Leser
der Meditationen schreibt Descartes, seine Beweise seien nur dem
einsichtig, der ernstlich
mit ihm zusammen meditieren und
seinen Geist von allen Vorurteilen ablenken könne und wolle.

Die Beweiskraft der
Meditationen liegt also nicht einfach in einer überzeugenden
Präsentation von Fakten. Vielmehr fordert Descartes vom Leser,
die vorgetragenen Gedanken stets in erster Person mitzuvollziehen und
alles, was überhaupt gelten soll, immer nach Kräften
für sich selbst als Denkenden gelten zu lassen.

Hierin ist die Methode der
Meditationen derjenigen der Geometrie verwandt. Auch in der Geometrie
kann ein Beweis nur dadurch dem Leser einsichtig werden, dass er die
Beweisschritte selbst für sich nachvollzieht. Die Erkenntnisse,
die die Meditationen über ihr
ego vermitteln können,
sind deswegen auch keine Einsichten in das
ego dritter
Personen.
Der Leser kann nur etwas
über sein eigenes Ich erfahren, indem er sich gänzlich in
die Lage des meditierenden
ego versetzt und dessen Gedanken
für seine nimmt.In seinen methodologischen Schriften ist
Descartes also um einen gewissenhaften Umgang mit
Behauptungssätzen bemüht. Ein solcher Umgang setzt die
Bereitschaft voraus, die Folgen jeder Entscheidung
höchstpersönlich und vollständig zu tragen. Descartes
hatte in genau diesem Sinn das reine Denken als
bewusstes,
gewissenhaftes Denken definiert. Für den reinen Geist der
Meditationen soll keine Entschuldigung durch äußere
Umstände gelten.
Next: Unterwegs zum
IndividuumUp: Gewissenhaft entscheiden Previous: Sünde und Irrtum