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Zusammenfassung

In erster Linie habe ich in dieser Arbeit Lesarten von Descartes gefunden und verteidigt. Die wesentlichen Punkte dabei waren die folgenden.
  1. Das ego der ersten fünf Meditationen unterscheidet sich von der Psyche, die Gegenstand einer modernen Psychologie sein könnte. Descartes spricht hier nicht von der Seele eines lebenden Menschen, sondern im Gegenteil von dem, was seiner Meinung nach von dieser fortbesteht, wenn der Mensch nicht mehr lebt.
  2. Substanzen sind Korrelate klarer und deutlicher Begriffe. Deutlichkeit eines Begriffes besteht in der Getrenntheit von anderen Begriffen und Substanzen sind Dinge, die allein in derart abgetrennter Rede beschrieben werden können. Daher können Geist und Körper nur Substanzen sein, wenn sie voneinander getrennt betrachtet werden.
  3. Cartesische Metaphysik und Physik sind in dem Sinne abgeleitete Redeformen, dass sie Präzisierungen der Rede von Seele und Leib darstellen. Etwas abzugrenzen, also präzise zu machen, bedeutet auch einen Verlust.
  4. Gott ist das, was Möglichkeiten möglich macht und Notwendigkeiten stiftet. Die Idee Gottes ist die Idee einer Gesamtheit der Begriffe oder eines Horizontes der Möglichkeiten.
  5. Bewusstsein kann mit Gewissenhaftigkeit ,übersetzt` werden. In diesem Sinne ist Bewusstheit auch für Descartes noch eine normative Kategorie. Etwas bewusst zu tun, bedeutet, die Folgen davon als zu verantwortende übernehmen zu wollen.
  6. Das ego der Meditationen ist dasjenige am Menschen, das bewusst sein kann, also Verantwortung übernehmen kann. Aus diesem Grund kann es als individuelle Substanz gelten.
Die angeführten Interpretamente lassen sich zu einer mehr oder weniger gewagten Gesamtinterpretation oder Reformulierung zusammenfassen. Dieser gemäß beruht die sichere Erkenntnis und Weisheit des Menschen darauf, dass dieser sich selbst als möglichen Träger von Verantwortung erkennt und anerkennt. Es muss zuallererst den Entschluss fassen, gewissenhaft zu denken. Notwendige Voraussetzung dafür ist die Einsicht in den Horizont der eigenen Möglichkeiten und Notwendigkeiten. Was schließlich die Frage nach einer Rehabilitation der cartesischen Psychologie angeht, so bin ich zu folgenden Schlüssen gelangt.Zunächst lässt sich den in der Einleitung grob skizzierten Kritiken Folgendesentgegnen:
  1. Descartes hat zwar Bereiche wissenschaftlicher Rede voneinander abgegrenzt. Dies aber bedeutet nicht, dass er die Welt in zwei Hälften geteilt habe. Erstens macht Descartes selbst an verschiedenen Stellen deutlich,dass nicht alles in der Welt in den Zuständigkeitsbereich einer der beidenWissenschaften fällt. Zweitens deutet er Elisabeth gegenüber an, dass das unwissenschaftliche, also unpräzise Denken grundlegender ist als die Einübung in die Verwendung deutlicher, scharfer Begriffe. Descartes extrahiertalso bestenfalls aus der Menge der Ideen und Sätze über die Welt zwei Teilmengen, indem er schon bestehenden Sprachgebrauch weiter präzisiert und einschränkt. Gerade die Rede vom lebenden Menschen bleibt von dieser Reform unberührt.
  2. Descartes hat auch nicht die Rede von der mentalen Innenwelt einesMenschen initiiert. In den Meditationen geht es erstens nicht um subjektive Psychologie. Zweitens hat die Fundierung des Wissens in der ersten Person einen wichtigen Hintersinn: Es geht gerade um die Verantwortung, die die erste Person vor anderen übernimmt, indem sie Bewusstsein hat, also gewissenhaft denkt und handelt. Daher kann der Bereich des Unmittelbaren, von dem in den Meditationen die Rede ist, nicht einfach ,privat` genannt werden -- jedenfalls nicht, wenn man unter einem Privatmenschen einen solchen versteht, der keine Verantwortung trägt.
  3. Da Descartes in der Metaphysik als einer seiner beiden Wissenschaften nicht den ganzen Menschen thematisiert, kann ihm auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, er habe ihn dort zu einem rein rationalen Wesen erklärt.
  4. Das Problem der Wechselwirkung von Geist und Körper, also genauer die Frage nach der Beziehung zwischen physikalischer und metaphysischer Rede mag zwar ein sehr schwieriges und hartnäckiges philosophisches Problem sein. Es kann aber erstens nicht von Descartes oder seinen Nachfolgern verlangt werden, dass sie es lösen, nur weil sie es aufwerfen. Zweitens, und das ist entscheidend, ist nicht klar, dass dieses Problem in der Form, in der die cartesische Philosophie aufwirft, überhaupt einer Lösung bedarf. Lösungsbedarf ergibt sich erst durch weitere Annahmen, etwa dass der Mensch determiniert zu nennen sei, solange nicht innerhalb der Wissenschaft eine Möglichkeit gezeigt wird, wie Geister auf Körper wirken können. Dies aber bedeutet, die wissenschaftliche Redeweise zu hoch zu schätzen.
Zweitens kann die positiv umrissen werden, was Descartes über den lebenden Menschen sagt. Den Menschen behandelt Descartes auf drei Ebenen.
  1. In nicht nur präziser Weise kann der Mensch als Einheit von Leib und Seele behandelt werden. Die Seele wird dann betrachtet, insofern sie verkörperter Geist ist, der Leib, insofern er beseelter Körper ist.
  2. Der Körper kann in ausschließlich präziser Weise nur als rein ausgedehnte Substanz beschrieben werden. Aus einer solchen Beschreibung sind alle Bezüge zum Geist herauszuhalten.
  3. Der reine Geist ist dagegen metaphysisch, unter Absehung von allem Körperlichen zu betrachten, sofern er präzise beschrieben, und das heißt: als Substanz betrachtet, werden soll.
Sofern eine Psychologie von den letzteren beiden Ebenen unterscheidbar sein soll, also nicht mit der Physik oder Theologie zusammenfallen soll, kann sie offenbar nicht deren Präzision erreichen. Als cartesische Psychologie ist daher letztendlich nur eine Ansammlung unpräziser Kommentare zu bezeichnen. Diese machen aber schon allein deswegen keine cartesische Wissenschaft aus, weil sie nicht von einer Substanz handeln.Ist die cartesische Psychologie also rehabilitierbar? In einem Sinne ist sie es nicht. Descartes kann keine Psychologie als Wissenschaft anerkennen. Und solange die Einwände, die Descartes gegen eine präzise Thematisierung der leib-seelischen Vermischung macht, nicht entkräftet werden, ist eine cartesische Psychologie nicht als Wissenschaft rehabilitierbar. Die Einwände sind aber vor allem begrifflich motiviert. Da cartesische Wissenschaften präzise, also voneinander getrennt sein sollen, können sie keine Vermischungen zum Gegenstand haben.Dass Descartes damit vor allem den folgenden Angriffspunkt bietet,sollte nicht weiter überraschen: Die Allgemeingültigkeit seiner Unterscheidung zwischen Redebereichen wie Physik und Metaphysik wäre zu hinterfragen. Der cartesische Dualismus ist dann nicht etwa deswegen zu überwinden, weil er den Menschen in zwei Hälften teilt, sondern weil er vorgibt, eine unverrückbare Ordnung des möglichen Wissens zu darzustellen.Hier ist nicht der Ort, ein solches Vorhaben weiter zu verfolgen. Es liegt aberschon einiger Wert in eben der Feststellung, dass Descartes die Beweise der Unkörperlichkeit und Unsterblichkeit des Geistes selbst nicht auf denlebenden Menschen bezogen wissen wollte. Durch die hier geleistete Zuordnung der cartesischen Thesen zu den zwei Bereichen cartesischer Wissenschaftlichkeit wird deutlich, was Descartes nicht über den ganzen Menschen sagen wollte, und gleichzeitig, was für einen Stellenwert die Aussagen haben, die Descartes tatsächlich über den Menschen als lebenden macht. Das cartesische Wissen vom lebenden Menschen kann zwar sicher und klar sein, aber in dem herausgearbeiteten Sinne nicht deutlich. Solange dies alles ist, was Descartes daran hindert, eine Wissenschaft vom lebenden Menschen anzuerkennen, ist dagegen nicht viel einzuwenden. Im Gegenteil entspricht diese Haltung gerade derjenigen, die die Kritiker des Dualismus einnehmen wollen: Es sei falsch, den Menschen nicht als leib-seelische Einheit zu betrachten.In diesem Sinne ist die cartesische Rede vom lebenden Menschen, wenn man darunter seine Psychologie versteht, rehabilitierbar.
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