Archimedischer PunktDescartes sucht einen archimedischen Punkt (AT VII 24,8) unerschütterlicher Gewißheit (certum et inconcussum AT VII 24,12). Dieser Punkt der Gewißheit besteht nicht bereits in dem Satz 'ego existo' (AT VII 25,12). Vielmehr fragt Descartes anschließend, wer er denn sei, und erst bei der Beantwortung dieser Frage will er 'alles abziehen (subducam), was durch die oben genannten Gründe auch nur im geringsten hat erschüttert werden können, so daß schließlich genau nur das übrigbleibt, was von unerschütterlicher Gewißheit ist (ut ita tandem praecise remaneat illud tantùm quod certum est et inconcussum AT VII 25,21-24). Was hier gewiß und unerschütterlich ist, ist also ein Ding, nicht ein Satz. Zweifelhaft ist aber die Existenz dessen, was das Gedächtnis vorstellt (quae mendax memoria repraesentat 24,15). Es ist also weder zweifelhaft, daß das Gedächtnis mir etwas darstellt, noch der Gehalt dessen, was es mir vorstellt. In Frage steht lediglich die Existenz des Vorgestellten. Daher spricht Descartes auch von Chimären (24,17), die ja durchaus bestimmte Gegenstände des Denkens sind, wenn sie auch nicht wirklich existieren. Jede Idee ist gleichwohl immer die Idee eines Dinges, ob sie zutrifft oder nicht (nullae idea nisi tanquam rerum esse possunt AT VII 44,4). Auf den Einwand, die Idee des 'nichts' stelle wenigstens kein Ding vor, schreibt Descartes: Illa idea [= idea nihili] est solùm negativa, et vix vocari potest idea; auctor autem hic sumit ideam proprie et stricte. Aliae etiam dantur ideae notionum communium, quae non sunt ideae rerum proprie; sed tum idea latius sumitur (AT V 153). Das 'ego existo' sagt die
Existenz eines Gegenstandes 'ego' aus, und es läßt sich
nicht bezweifeln. Die Wahrheit des Satzes ist keine absolute, sondern
stellt sich nur unmittelbar ein, wenn ich versuche, an ihm zu zweifeln
(Imo certe ego eram, si quid mihi persuasi AT VII 25,5; quandiu me
aliquid esse cogitabo 25,9). Die Gewißheit, selbst zu sein, ist
also stets eine gegenwärtige. Ich bin nur solange, wie ich mich
täusche (25,5), getäuscht werde (25,7) oder denke, etwas zu
sein (25,9). Der Satz 'ego sum, ego existo' ist wahr, sobald ich ihn
behaupte oder denke (quoties a me profertur, vel mente concipitur
25,12). Nondum verò satis intelligo, quisnam sim ego ille, qui jam necessariosum; deincepsque cavendum est ne forte quid aliud imprudenter assumam inlocum meî, sicque aberrem etiam in eà cognitione, quam omnium certissimamevidentissimamque esse contendo (AT VII 25,14-17). Der Schritt zum Irrtum ist klein, aber bedeutend. Descartes muß sich hüten, zu denken, daß das ego etwas bestimmtes sei, das es dann eventuell nicht ist. Was sich im Laufe der Meditationen als vergleichbar sicher herausstellen wird, faßt Descartes in der vierten Meditation zusammen:
Letzteres folgt unmittelbar aus dem Versuch des Zweifels: Zu Zweifeln heißt, seine eigene Unvollkommenheit anzunehmen. Aus der Annahme, mir stünde etwas gegenüber, das ich anzweifeln kann, folgt, daß ich ein endlicher Teil in einem größeren Ganzen bin. Daraus wiederum folgt die Existenz Gottes. Die Natur des menschliches Geistes(Vgl. Aufsatz zu McDowell.) Anima en bon latin signifie aërem, sive oris halitum; d'ou ie croy qu'il a esté transferé ad significandum Mentem, et c'est pour cela que i'ay dit que saepe sumitur pro re corporea (AT III 362,8; saepe pro re corporea usurpatur AT VII 161,27). Auch hier geht es also noch um die Annahme, der denkende Geist sei ein körperliches Ding. Eine solche Theorie der stofflichen Seele (Gassendi, Psychologismus?), der Descartes eine Zeit lang näher gestanden hatte, ist aber auch ohne den radikalen Zweifel schon zweifelhaft. Descartes gesteht ein, daß er sich nie habe erklären können (mirabar 26,22), wie die Seele als etwas stoffliches das Mentale hervorbringen könne (AT VII 26,9). Die Trennung von Leib und Seele hat hier also vorgängig die Funktion einer sinnvollen Eingrenzung des Bereichs der wissenschaftlichen Geometrie (Physik). Durch den Zweifel der ersten Meditation kommt aber eine körperliche Grundlage nicht in Betracht. Warum nicht? Angenommen, es gelänge Descartes, folgenden Satz zu beweisen: 'Wenn es eine Seele gibt, dann ist sie körperlich'. Könnte er dann nicht direkt schließen 'also gibt es etwas körperliches'? Dies kann er allerdings nicht. Die Deduktion ist als Beweisverfahren solange außer Kraft gesetzt, bis der Gottebeweis gelungen ist, und auch die Aussichten, einen ähnlich zwingenden Beweis für die Körperlichkeit der Seele zu finden, wie es der des Satzes 'ego existo' war, sind gering. Es kann also nur darum gehen, näher zu betrachten, was der bereits geleistete Beweis der Existenz des ego eigentlich geleistet hat. Weitere Beweise sind nicht anzustreben. CogitatioIm Gegensatz zu den Attributen der stofflichen anima (nutriri, incedere, sentire AT VII 27,3-8) konnte Descartes nur ein Attribut des Geistes zeigen: er denkt. Allein das Denken gehört unmittelbar zu ihm (27,8). Das Denken kann aber auch, im Gegensatz zum Ernähren und Bewegen, Quelle von Normativität sein. Die Eigenschaft des Geistes, die unmittelbar mit dem Beweis des 'ego existo' zusammenhängt, nennt Descartes cogitatio. Die cogitatio besteht jedoch nicht aus propositionalen Gehalten oder Gedanken, sondern aus Denkakten, oder Fakultäten. vis tamen ipsa imaginandi revera existit, et cogiationis meae partem facit (AT VII 29,8, meine Hervorh.). In etwas eigenwilliger Weise
schränkt Descartes den Inhalt des Denkens auf die Denkakte und
-fähigkeiten ein, ohne deren Denotate. Zur cogitatio
gehört zwar das Sehen einer Wiese, sofern es darin besteht, eine
Wiese als Gegenstand vorzustellen, aber nicht sofern es eine Bezug zu
einer Wiese hat. So wie Descartes die cogitatio bestimmt, ist
es tatsächlich unmöglich, zwischen Traum und Wachen zu
unterscheiden. Anders gesagt: der Sinn und die Vorstellung
gehören in Freges Terminologie zur cogitatio, die
Bedeutung nicht. Cogitationis nomine complector illud omne quod sic in nobis est, ut eius immendiate conscii simus. Ita omnes voluntatis, intellectus, imaginationis et sensuum operationes sunt cogitationes. Sed addidi immediate, ad excludenda ea quae ex iis consequuntur, ut motus vonluntarius cogitationem quidem pro principio habet, sed ipse tamen non est cogitatio (AT 160,6-13). Diese Definition hebt hervor, daß cogitationes als solche auszeichnet: wir sind uns ihrer unmittelbar bewußt. Zu einer cogitatio gehört also neben dem ihrem Inhalt, der ja beliebig sein kann, auf jedenfall ein etwas, dem die cogitatio unmittelbar bewußt ist. Das hat zweierlei Konsequenzen: cogitationes sind privat. Wer sich einer cogitatio unmittelbar bewußt ist, muß eine Einheit bilden. Es können keine zwei cogitationes von einem Subjekt hervorgebracht werden, ohne daß diesem beide gleichermaßen unmittelbar bewußt wären, und es können keine zwei verschiedenen Subjekte ein und dieselbe cogitatio haben. Denn Subjekt einer cogitatio zu sein, läßt sich nur über die Menge der cogitationes definieren, die Attribute dieses Subjekts sind. res cogitansDen Träger von cogitationes bezeichnet
Descartes als res cogitans. Er will dabei nicht mehr als dies
sagen: es handelt sich um ein abgeschlossenes, individuelles Etwas,
dessen Attribute die cogitationes sind. Die res cogitans
ihrerseits ist nicht bildlich vorstellbar (effingo AT VII 28,2), da
ihr kein Inhalt einer cogitatio entsprechen kann. Daraus
folgt auch: Nichts, was ich mir als Figur eines Körpers
vorstelle, kann Subjekt dieser meiner Denktätigkeit sein
(28,15). sum igitur praecise tantùm res cogitans (AT VII 27,13) Husserl kritisiert den Schritt, den Descartes hiermit vollzieht, mit folgenden Worten: Leider geht es so bei Descartes mit der unscheinbaren, aber verhängnisvollen Wendung, die das ego zur substantia cogitans, zum abgetrennten menschlichen mens sive animus macht und zum Ausgangsglied für Schlüsse nach dem Kausalprinzip (CM 10, Husserliana I 63,28). Husserl fordert dagegenm nichts zur Aussage zu bringen, 'was wir nicht selbst sehen' (ibid. I 64,3). Die res cogitans ist kein Phänomen. Was Husserl also nicht gelten läßt, ist der Schritt von Ich bin denkend zu Ich bin eine denkende Substanz. Descartes verwendet, wie Husserl vermerkt,
den scholastischen Substanzbegriff. Eine
Substanz ist demnach alles, was Eigenschaften haben kann. Es gibt
keine Eigenschaften ohne Substanz (außer beim Abendmahl), aber eine Substanz ist von ihren
Eigenschaften verschieden, indem sie ihnen zugrundeliegt. Sinnlich
erfaßbar sind dabei nur die jeweiligen Eigenschaften. Keine
Substanz ist als solche unmittelbar sinnlich wahrnehmbar. Funktion des Wachsbeispiels(Seiten- und Abschnittszahlen, z.B. 30/10, beziehen sich auf die Meiner-Ausgabe mit Erwiderungen; AT auf die Gesamtausgabe von Adam und Tannery mit Band, Seite und Zeile, z.B. AT IX 365,12). Alles, was Descartes jedoch besaß, war seine Idee eines denkenden Etwas. Er konnte nicht nachweisen, daß es etwas über die Außenwelt wissen konnte. Soweit der Stand der Meditationen bis Seite 22, Abschnitt 15. Als nächstes betrachtete Descartes ein Stück Bienenwachs. Warum um Gottes willen betrachtet Descartes jetzt auf einmal ein Stück Bienenwachs? Was Descartes hier tut, scheint so beliebig und unvermittelt, daß er selbst mit einer Entschuldigung anfängt: Aber ich sehe schon, wie es sich hiermit verhält: meinem Geiste macht es Freude, abzuirren (p. 22/16). Descartes' Geist, der hier abirrt, ist aber Descartes selbst. Jedenfalls sagt er dies in der dritten Meditation: ...Ich, d.h. mein Geist - denn dieser allein gilt mir jetzt als ich selbst... (p. 42/40 oben, AT 50,30) Warum irrt Descartes ab? Das paßt nicht zu der Ankündigung, die er im Widmungsschreiben an die Sorbonne gemacht hatte. Er wolle, wie auch die Geometer, nichts schreiben, ...worin nicht immer das Folgende mit dem Voraufgehenden genau zusammenhinge (p. XIV, AT VII 4,20). Descartes gibt einige Hinweise, inwiefern das Wachsbeipiel in den Gang der Argumentation paßt und was seine Funktion ist. Diese Hinweise lassen sich zu ungefähr 7 Theorien über den Sinn des Wachsbeispiels zusammenfassen, von denen wohl die sechste zutrifft:
DefinitionstheorieNachdem Descartes festgstellt hat, daß ein Stück Wachs jede erkennbare sinnliche Eigenschaft vollständig wechseln kann, stellt er zwei Fragen: Bleibt es denn noch dasselbe Wachs? Descartes scheint hier die Frage zu stellen: Was ist denn nun Wachs, wenn es nicht bestimmte konstante Eigenschaften hat? Eine ähnliche Frage stellt Descartes auch zu Anfang des Abschnitts 20: Was ist denn aber dieses Wachs (...)? (p. 24/20, AT 31,19) Das klingt nach der Frage nach einer Definition von Wachs, und so eine Frage hat J. J. C. Smart in den 50'ern für eine interessante Frage von Descartes gehalten, mit der er aber habe scheitern müssen: Die Frage, wie Descartes sie stellt, ist sinnlos, und das ist der Grund, warum er sie nicht beantworten kann. Dafür ist Smart prompt und mit Recht kritisiert worden (von Peter G. Lucas und J.N. Wright). Eine genaue Definition von 'Wachs' wäre zugegebenermaßen eine anspruchsvolle Aufgabe, wenn man die herkömmliche betrachtet: Wachs. Im warenkundlichen Sinne Sammelbezeichnung für tierische, pflanzliche, mineralische und synthetische Produkte, die in ihrer Beschaffenheit und Anwendung dem Bienenwachs nahestehen (Meyers Lexikon) Aber Descartes sucht ganz offenbar keine
Definition von Wachs. Eine solche müßte ja einige
konstante Eigenschaften des Wachses aufzählen, die nicht für
beliebige Objekten gelten. Was Descartes aber anbietet, hat nichts
mehr mit Wachs zu tun. VorgrifftheorieIn der Inhaltsübersicht schreibt Descartes, daß die Bestimmung der Natur des menschlichen Geistes unmittelbar dazu dient, den Unterschied zwischen geistigen und körperlichen Dingen zu erkennen: Dies ist auch deshalb von dem höchsten Nutzen, da er doch auf diese Weise leicht zu unterscheiden vermag, was eigentlich ihm, d.h. der erkennenden Natur, und was dem Körper angehört (p. 7/[2], AT VII 12,13-16) Geht es also bei dem Wachsbeispiel darum, schon einmal anzudeuten, was denn zur Natur der körperlichen Dinge gehört, um diesen Unterschied auch einsehen zu können? Wie Mijuskovic in seinem Artikel über das Wachs schreibt, nehmen das etliche Kommentatoren an: Descartes nehme hier schon einmal ein bißchen von dem vorweg, was dann in der 5. Meditation kommt. Er schreibt dies tatsächlich selbst: Ferner gilt es, einen klareren Begriff von der körperlichen Natur zu gewinnen; dies geschieht teils in eben dieser zweiten, teils in der fünften und sechsten Meditation (p. 8/[3], AT VII 13,12-15). Formen der Anschauung-TheorieAber vertrauen wir nicht zu sehr auf Descartes's Darstellung dessen, was er tut. Sehen wir genauer hin, was er wirklich tut. Descartes gibt eine vorläufige Antwort auf die Frage nach dem Wachs auf Seite 23, Abschnitt 16: Vielleicht war es (...) ein Körper, der sich kurz zuvor in diesen Weisen meinen Blicken darbot, jetzt in anderen? Descartes fragt hier danach, ob es irgendetwas im Wachs gibt, das dasselbe bleibt, obwohl alle Eigenschaften beliebig variierbar sind. Dem entspricht das Vorgehen, das Husserl in seinen cartesischen Meditationen anwendet: Ausgehend vom Exempel dieser Tischwahrnehmung variieren wir den Wahrnehmungsgegenstand Tisch in völlig freiem Belieben, jedoch so, daß wir Wahrnehmung als Wahrnehmung von etwas - von etwas, beliebig was - festhalten, etwa anfangend damit, daß wir seine Gestalt, die Farbe usw. ganz willkürlich umfingieren, nur identisch festhaltend das wahrnehmungsmäßige Erscheinen. Mit anderen Worten, wir verwandeln das Faktum dieser Wahrnehmung unter Erhaltung von ihrer Seinsgeltung in eine reine Möglichkeit und unter anderen ganz beliebigen Möglichkeiten - aber reinen Möglichkeiten von Wahrnehmungen. (Siehe auch die log. Untersuchungen
II, 2 - ?) Was ist aber genau das, was ich hierbei so in der Einbildung habe? Betrachten wir es aufmerksam, entfernen wir alles, was nicht dem Wachs zugehört, und sehen wir zu, was übrigbleibt! (p. 23/17, AT VII 30,31f.) Das scheint ziemlich genau das zu sein, was auch Kant zu Beginn der Kritik der reinen Vernunft tut: So, wenn ich von der Vorstellung eines Körpers das, was der Verstand davon denkt, als Substanz, Kraft, Teilbarkeit usw., imgleichen, was davon zur Empfindung gehört, als Undurchdringlichkeit, Härte, Farbe usw. absondere, so bleibt mir aus dieser empirischen Anschauung noch etwas übrig, nämlich Ausdehnung und Gestalt. Diese gehören zur reinen Anschauung (... KrV B35). Bleibt bei Descartes auch die 'reine Anschauung' übrig? Was er findet, ist erst einmal: Etwas Ausgedehntes, Biegsames und Veränderliches (p. 23/17, AT VII 31,3) Der Unterschied zwischen Kant und Descartes ist sofort klar, denn die Formen der Anschauung sind selbst alles andere als ausgedehnt oder biegsam. Sie sind eher das, wodurch die Gegenstände uns ausgedehnt und biegsam erscheinen. Das liegt natürlich daran, daß Kant, im Gegensatz zu Descartes, auch die Substanz von dem wegdenken will, was er betrachtet. Bei Descartes bleibt aber gerade die Substanz, das Biegsame und Veränderliche, noch übrig.Außerdem kann Descartes schon deshalb nicht wirklich von Formen der Anschauung reden, da es ja aufgrund des Zweifels gar nichts anzuschauen gibt. Allenfalls spricht Descartes hier über Formen des Vorstellens. Aber vielleicht will Descartes ja gerade hierüber reden. Er schreibt resümierend: Es kommt also dieser Begriff nicht durch die Einbildungskraft zustande (p. 24/18, AT VII 31,10) Damit unterscheidet Descartes immerhin zwei verschiedene Vermögen des menschlichen Geistes voneinander:
Das ist schon fast eine kleine Erkenntnistheorie. Descartes behauptet, daß wir zwar die äußere wechselhafte Erscheinung des Wachses durch unsere Einbildungskraft erfassen, daß wir es aber dabei auch immer im Denken erfassen. Was wir im Denken erfassen ist, daß da etwas ist, das dasselbe bleibt, wenn die Eigenschaften wechseln. Frege schreibt etwas sehr ähnliches: Das Haben von Gesichtseindrücken ist zwar nötig zum Sehen der Dinge, aber nicht hinreichend. Was noch hinzukommen muß, ist nichts Sinnliches. Und dieses ist es doch gerade, was uns die Außenwelt aufschließt; (... Logische Untersuchungen, Der Gedanke, Göttingen 1986, p. 51). Descartes
schreibt bei der Analyse des Wachsbeipiels einige Male, daß wir
streng genommen nicht das Wachs selber sehen, sondern urteilen,
daß da wohl Wachs ist, das so und so aussieht (p. 24/21, AT VII
32,4). SubstanztheorieDas was da ist, auch wenn die Eigenschaften beliebig wechseln, ist die Substanz, die diese Eigenschaften hat. Vielleicht macht uns Descartes am Ende der zweiten Meditation schon einmal mit dem Substanzbegriff bekannt, den er dann in der dritten Meditation das erste Mal verwenden wird: Denn ohne Zweifel sind die [Ideen], die mir Substanzen darstellen, etwas mehr... (p. 32,19, AT VII 40,12) Descartes verwendet den Substanzbegriff dort für seinen Gottesbeweis. Erinnern wir uns: im Gegensatz zu Kant hatte Descartes die Substanzhaftigkeit nicht weggedacht. Auch an der Stelle, wo er den bösen Geist bemüht, um besser zweifeln zu können, war von Substanzialität nicht die Rede: Von dieser Art scheinen zu sein die Natur des Körpers überhaupt und seine Ausdehnung, ferner die Gestalt der ausgedehnten Dinge, ebenso die Quantität, d.i. ihre Größe und Zahl, ebenso der Ort, an welchem sie existieren, die Zeit, während welcher sie dauern und dergleichen (p. 14/8 AT VII 20,15-19). Descartes zählt hier die wichtigsten der zehn Aristotelischen Kategorien auf, nur die allerwichtigste läßt er weg: die Kategorie der Substanz! Eine Substanz ist in erster Linie etwas, das Träger von Eigenschaften ist. Decartes definiert in seiner Erwiderung auf die zweiten Einwände: Jede Sache, der unmittelbar, als in ihrem Subjekte, etwas innewohnt, oder durch die etwas existiert, was wir erfassen, d.h. irgendeine Eigenschaft oder Beschaffenheit oder Attribut, wovon wir in uns die reale Idee haben, heißt Substanz (p. 146/V AT VII 161,14-17). Damit führt Descartes nicht einfach nur einen Begriff ein, den er zum Gottesbeweis braucht, sondern er sagt implizit auch genauer, was er unter einer res cogitans verstehen will: Wenn der Geist eine res cogitans ist, dann gibt es außer dem Denken noch eine Substanz, die denkt (AT V, 156, meine Übers., Brief an Burman, 16. April 1648). Ohne daß Descartes das Wort gebraucht, gibt er also am Ende der zweiten Meditation zu verstehen, daß die res cogitans eine Substanz ist. Natur des Geistes - Theorie(1) Descartes erläutert mit dem Wachsbeispiel also vielleicht immer noch, was das denn für ein Ding sei, was da denkt. Ähnliches vermutet auch Mijuskovic in seinem Artikel über das Wachs: Ihm geht es tatsächlich nicht darum, die wesentlichen Attribute des Geistes und des Körpers voneinander zu unterscheiden, sondern er ist eher damit beschäftigt, die grundlegenden Fähigkeiten des menschlichen Geistes zu beschreiben - und nur damit. (2) Einen Hinweis,
der in eine etwas andere Richtung weist, gibt Descartes selbst. Das
Bienenwachs ist ja nicht der einzige Gegenstand, den er sich
vorstellt. Ein zweites Beipiel handelt von Menschen, die auf
der Straße vorübergehen, und die ja vielleicht auch
Automaten sein könnten. (3) Einen weiteren Hinweis gibt Descartes in seinen Erwiderungen auf Gassendis fünfte Einwände: Und so viele verschiedene Attribute wir am Wachs unterscheiden können, (...) genausoviele gibt es auch beim Geiste (p. 331/9, AT VII 360,7-10). Descartes gibt hier noch einmal zu verstehen, was die res cogitans ist: etwas, dessen Attribute Fähigkeiten sind, zu denken. Attriubut der res cogitans ist zum Beipiel die Fähigkeit, die weiße Farbe des Wachses zu erkennen (ebd., AT VII 360,10). Diese Fähigkeiten gehören in derselben Weise zur res cogitans, wie die Eigenschaften zum Wachs gehören. Die res cogitans ist in gewisser Weise etwas Formbares wie das Wachs. Die Formen der res cogitans sind jedoch nicht ihre sichtbaren Eigenschaften, sondern die verschiedenen Gedanken (cogitationes), die sie hat. Descartes knüpft damit auch an die arsitotelische Seelentheorie an: Das wahrnehmende und wissende Vermögen der Seele ist der Möglichkeit nach gleich den Dingen, dem Wißbaren auf der einen, dem Wahrnehmbaren auf der anderen Seite (Aristoteles, De Anima 432a26). ErkennbarkeitstheorieEs ist aber jetzt an der Zeit, endlich mal den Zaunpfählen zu folgen, mit denen Descartes eigentlich die ganze Zeit winkt. Descartes beendet seine Antwort auf Gassendi mit den Worten, 'und daher' sei 'die Natur des menschlichen Geistes von allen Dingen am leichtesten erkennbar' (p.332/9, AT VII 360,19). Und in den Erwiderungen auf die dritten Einwände von Hobbes hatte Descartes beschrieben: Auch habe ich an dieser Stelle nicht von dem eigentlichen Begriffe des Geistes, auch nicht von dem eigentlichen des Körpers gehandelt (p. 159, AT VII 175,19). Es geht also weder um die Natur des Körpers noch um die des Geistes, sondern um die Erkennbarkeit beider. Die zweite Meditation trägt aber bereits diesen Titel: 'Über die Natur des menschlichen Geistes; daß er leichter erkennbar als der Körper'. In einem Brief an Mersenne aus dem Jahr 1641 begründet Descartes die Ergänzung: Ce qui me fait penser qu'au titre de la seconde Meditation, de Mente humana, on peut adiouter, quod ipsa sit notior quàm corpus, afin qu'on ne croye pas que l'aye voulu y prouver son Immortalité (AT III 297). Über die leichtere Erkennbarkeit des Geistes haben wir bis zum Wachsbeispiel noch nichts vernommen. Eher machte Descartes den Eindruck, es sei gar nicht so einfach, herauszufinden, was der menschliche Geist denn ist. Direkt bevor er an die Betrachtung des Bienenwachses geht, macht sich Descartes folgenden Einwand: Aber doch scheint es bisher immer noch, und ich kann mich dieser Meinung gar nicht erwehren, als ob die körperlichen Dinge, deren Bilder sich in meinem Bewußtsein gestalten, und die durch die Sinne selbst erforscht werden, viel deutlicher erkannt würden, als jenes, ich weiß nicht was von mir, das nicht ein Gegenstand der Einbildung ist (p. 22/15, AT VII 29,20-4). Descartes hatte auf Seite 21, Abschn. 12, geschrieben, daß das ego etwas sei, von dem er sich kein Bild machen kann (AT VII 28,1). Vielleicht will er jetzt einfach zeigen, daß es auch andere Dinge gibt, von denen wir uns kein Bild machen können, und die wir doch gut zu kennen glauben. Zum Beispiel haben wir kein Bild von dem, was dem Wachs in seinen verschiedenen Zuständen gemeinsam ist, und trotzdem gehen wir ganz selbstverständlich davon aus, daß da etwas ist. Descartes will also sagen, daß es überhaupt nicht schlimm ist, wenn wir uns von der res cogitans kein Bild machen können, weil das auch bei ganz normalem Bienenwachs schon so ist. Und wenn ihr euch schließlich an das erinnert, was am Ende der zweiten Meditation vom Wachs gesagt worden ist, so werdet ihr bemerken, daß nicht einmal die Körper selbst eigentlich durch die Sinne erfaßt werden, sondern allein durch den Verstand (p. 120, AT VII 132,20-23). Mehr noch: Wir erfassen das Bienenwachs sogar um so vollkommener und deutlicher, je weniger wir unseren Sinnen, und je mehr wir dem Denken vertrauen. ...seien wir darauf aufmerksam, ob ich damals vollkommener und einleuchtender erfaßte, was das Wachs sei, als ich es zuerst erblickte und glaubte, es durch den äußeren Sinn oder doch durch den sogenannten Gemeinsinn, d.h. heißt durch die Fähigkeit der Einbildung zu erkennen oder vielmehr eher jetzt, nachdem ich sorgfältig erforscht habe, was es ist und wie es erkannt wird (p. 25/22, AT VII 32,15-21) Für Descartes ist der Fall klar: die Einsicht, die er dann denkenderweise hatte, war zutreffender und besser. Er fährt fort: Was aber soll ich von diesem Geiste selbst oder von meinem Ich sagen (...) ? (p. 25/23, AT VII 33,1) Hier geht es also um die Erkennbarkeit des Geistes oder des eigenen Ich. Die Antwort lautet: Das Ich ist besser erkennbar als alles andere, weil die denkende Erkenntnis oder 'Einsicht des Geistes' (mentis inspectio AT VII 31,25) die bessere Art ist, zu erkennen. Und eine Einsicht des Geistes muß sich ja einstellen, egal was wir gerade versuchen zu erkennen. Immer wenn wir denken, erkennen wir auch die res cogitans, die ja unsere Gedanken und Denkfähigkeiten, mit denen wir denken, als Attribute an sich hat. Den Geist zu erkennen, ist also eine selbstverständliche Sache. ...um wieviel deutlicher muß, wie man jetzt zugeben wird, ich jetzt mich selber erkennen, da dieselben Gründe, die zur Erkenntnis des Wachses oder irgendeines sonstigen Körpers beitragen, alle noch besser die Natur meines Geistes beweisen (p. 26/23, AT VII 33,21-26). Was heißt es, daß der Geist leichter erkennbar sei? Descartes schreibt: distinctius (33,22), facilius, evidentius (34,5). Immer wenn die Sinnesemfpindungen Eigenschaften vermitteln, denkt der Geist dazu ein bleibendes Objekt, das diese Eigenschaften hat. Diese Gedanken werden aber wiederum von der res cogitans gehabt, als dem Bleibenden, das ihnen zugrundeliegen muß. Daher ist die denkende Substanz logisch früher als das Denken von Objekten der Außenwelt, und dieses ist früher als das Erkennen von sinnlichen Eigenschaften. Theorie des realen UnterschiedsEs bleibt eine weitere Theorie, die eigentlich eher als Mißverständnis zu bezeichnen ist. Mersenne beklagt in den zweiten Einwänden, Descartes schreibe entgegen seiner Ankündigung ... nicht ein einziges Wort von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele (p. 116 Siebtens, AT VII 127,30). Außerdem habe er nicht genügend gezeigt, daß Seele und Körper voneinander verschieden seien (ebd., AT VII 128,4). Descartes antwortet Mersenne in einem Brief: Wenn sie sagen, daß ich nicht ein Wort über die Unsterblichkeit der Seele verloren habe, muß sie das nicht zu sehr erstaunen. Ich wüßte nämlich nicht, wie ich zeigen sollte, daß Gott sie nicht zerstören kann, sondern nur, daß sie eine vom Körper wirklich verschiedene Natur hat. Im selben Brief kündigt Descartes an, eine Abkürzung der 'prinzipiellen Punkte der Meditationen' zu schicken. Sie sind unter dem Titel 'Inhaltsübersicht' in unserer Ausgabe der Meditatione enthalten. Dort schreibt Descartes das, was er auch Mersenne geschrieben hatte: Wenn aber vielleicht einige an dieser Stelle Gründe für die Unsterblichkeit der Seele erwarten werden, so halte ich es für angebracht, ihnen hier zu bedenken zu geben, daß ich mir vorgenommen habe, nichts als das, was ich streng beweisen kann, zu schreiben, ... (p. 7/[2], AT VII 12,17f.). Offenbar will Descartes in der zweiten Meditation also nicht die reale Verschiedenheit von Seele und Körper beweisen. Literatur
|