Ziele der sechsten Meditation:

  • Unterscheidung zwischen (bloßer) intellectio und imaginatio (AT VII 15,20)
  • mentem realiter a corpore distingui probatur

Auch in der sechsten und letzten Meditation liegt der Schwerpunkt nicht in einem Beweis der Außenwelt. Dessen Möglichkeit wird vielmehr diskutiert, um zu zeigen, daß Erkenntnisse über konkrete Verhältnisse von materiellen Dingen von anderer Art sind als die Sätze der Metaphysik und Mathematik (15,27f.). Die Existenz der materiellen Dinge folgt probabiliter tantùm (73,24). Die Erkenntnis des eigenen Geistes gehört dabei in die Metaphysik.

...illas considerando (die Beweise der Existenz materieller Dinge), agnoscitur non esse tam firmas nec tam perspicuas quàm sunt eae, per quas in mentis nostrae et Dei cognitionem devenimus; (16,3-6).

Unterscheidung zwischen imaginatio und pura intellectio:

  • Die imaginatio besteht in der Richtung des Geistes auf einen gewissen Körper, die intellectio in der Richtung des Geistes auf sich selbst (73,11 bzw. 16).

Bei der Richtung des Geistes auf Körper spicht Descartes von inspectio. Burman fragt:

quid illud inspicere est? an intelligere? si ita, cur ergo ab eo distinctum ponitur? si non, ergo mens plus est quàm res intelligens seu cogitans, et sic ante corpus habet potentiam insoiciendi corpus; vel an resultat in mente ex unione ejus cum corpore?

Die Antwort lautet:

est specialis quidam modus cogitandi, qui ita sit. Quando objecta externa agunt in sensus meos, et in iis pingunt sui in glandulâ inde pinguntur advertit, sentire dicitur; cùm verò illae imagines in glandulâ non pinguntur ab istas rebus externis, sed ab ipsâ mente, quae, rebus externibus absentibus, eas in cerebro effingit et format, tum imaginatio est; adeo ut differentia imaginationis et sensûs consistat in eo tantùm, quod in hoc imagines pingantur ab objectis externibus, iisque praesentibus, in illâ autem a mente sine objectis externis et tanquam clausis fenestris. (...) Cùm autem non ita possit mille lineolas ducre et formare in cerebro, sed confuse solum, hinc etiam non imaginatur distincte chiliogonum, sed solùm confuse (AT V 162).

Die imaginatio besteht also darin, daß sich der Geist der Materie des Nervensystems bedient, um gewisse Bilder damit zu gestalten, die uns als Einbildung erscheinen können.

dum autem imaginatur, se convertat ad corpus, et aliquid in eo ideae vel a se intellectae vel densu perseptae conforme intueatur (73,17-20).

Wie kann eine Idee durch die Sinne empfangen werden; ist das gemeint? Descartes schreibt in einem Brief an Regius:

sed tamen potes [explicare], ut ego in Metaphysicis, per hoc, quod percipiamus sensus doloris, aliosque omnes, non esse puras cogitationes mentis à corpore distinctae, sed confusas illius realiter unitae perceptiones (AT III 493,10-4).

Die intellectio dagegen besteht in der Betrachtung meiner eigenen Ideen.

respiatque aliquam ex ideis quae illi ipsi insunt (73,17)

Wie ist das möglich, da sich meine Ideen formaliter nicht voneinander unterscheiden? Kann man denn von einem Betrachten von Idee sprechen, wenn diese niemals Gegenstand sind, sondern stets Mittel, um zu vergegenständlichen? Außerdem: betrachtet der Geist bei der intellectio nicht auch Ideen hinsichtlich ihres Gehaltes, also etwas, das der Idee entspricht? Wenn der Geist nur seine Ideen sola in se, sieht er ja nicht mehr als sich selbst. Antwort: er sieht das, was eminenter in ihm selbst enthalten ist:

quaedam ab ideâ meî ipsius videor mutari posse (44,19-20).

Scheinbar sind alle Ideen des Intellekts tatsächlich aus der Idee meiner selbst entlehnbar (45,8).

  • Die imaginatio kostet eine gewisse Anstrengung, die intellectio nicht.
    manifeste hîc animadverto mihi peculiari quâdam animi contentione opus esse ad imaginandum, quâ non utor ad intelligendum (72,28-73,2).

  • imaginatio ist keine wesentliche Fähigkeit meines Geistes.
    ad meî ipsius, hoc est ad mentis meae essentiam non requiri (73,7)

Das bedeutet insbesondere, daß dem menschlichen Geist nichts wesentliches fehlt, wenn er keine imaginatio hat (dass. auch für sensatio 78,21-2, sine quibus me possum clare et distincte intelligere 78,23-4).

nam quamvis illa (i.e. die imaginatio) a me abesset, procul dubio manerem nihilominus ille idem qui nunc sum (73,8-9).

Imaginatio und sensatio sind zwar Modi des Denkens, aber das Denken kann auch von ihnen vollständig unabhängige Modi haben (78,21-8). Dazu parallel die theologische Frage: Was geschieht mit der Seele in der Zeit zwischen ihrer Trennung vom Körper und dem jüngsten Gericht?
Mit der imaginatio würde auch der sinnliche Gehalt meiner Ideen fehlen (nicht jeder objektive), und mein Geist wäre damit um einige Modi ärmer. Er gliche dann dem Geist eines Engels:

Tunc essem sicut angeli, qui non imaginantur (AT VII 162).
si enim Angelus corpori humano inesset, non sentiret ut nos, sed tantum perciperet motus qui causarentur ab obiectis externis, et per hos à vero homine distingueretur (AT III 493,14-7).

Das wesentliche an unserem Geist teilen wir also mit den Engeln.

Die weitere Untersuchung folgt den Fragen:

  • Welche Ideen erfasse ich durch die Sinne?
  • Welche Gründe gab es, an ihnen zu zweifeln?
  • Revision der Zweifelsgründe.

Einerseits wird mein Körper beim haben von Sinnesempfindungen körperlich beeinflußt (affici 74,22), andererseits hat mein Geist Empfindungen, die selbst nicht körperlich sind. Der Geist empfindet

  • sensus (74,22)
  • appetitus (74,25)
  • affectus (74,27)
  • sinnliche Eigenschaften von körperlichen Dingen (74,28-75,5)

Appetitus und affectus lokalisiere ich in meinem Körper (76,3-4). Allgemein neige ich aber dazu, als Quelle der Empfindungen etwas mir Äßerliches anzunehmen.

fieri non posse videbatur ut a meipso procedunt (75,18-9)

Auch im Falle von appetitus und affectus meine ich, von meinem Körper als etwas Äußerlichen beeinflußt zu werden. Descartes geht davon aus, daß sich in meinem Körper nichts befindet, das selbst die Form eines Affekts qua Modus der res cogitans hat (quibus omnino similies erant, AT VII 35,27, hatte er ja schon zurückgewiesen; vgl. 76,13: neque enim ulla plane est affinitas).
Unterschiede in meinem Körper erzeugen Unterschiede zwischen Modi der res cogitans, aber diese entsprechen keinen rellen Qualitäten:

ut neque etiamisti dolori, sed tantummodo in eo aliquid esse, quodcunque demum sit, quodistos in nobis sensus caloris vel doloris efficiat (83,9-12).

Ablehnend gegenüber der Annahme reller Qualitäten hatte sich Descartes schon im Herbst 1635 geäußert:

Ie ne croy point non plus les cors pesans descendent par quelque qualité réelle, nommée pesanteur,... (AT I 324,2-4).

Die Verbindung zwischen materiellen Vorgängen und Veränderungen der Modi des Denkens ist nicht streng faßbar. Zwar sind den materiellen Vorgängen in meinem Köper gewisse Affekte zuzuordnen, die Grundlage dafür bietet aber nur die Lebenserfahrung oder die Natur:

Cur verò ex isto nescio quo doloris sensu quaedam animi tristitia (...) consequatur, (...) non aliam sane habebam rationem, nisi quia ita doctus sum a naturâ (76,6-12).

(vgl. aber 82,1-3, wo Descartes natura abgrenzt gegen consuetudo quadam inconsiderate judicandi.)

Although I would err if I ascribed this information [heat] directly to nature, I am justified in taking it seriously at quite another level (Williston p. 36).

Die Verbindung zwischen Körper und Geist kann zwar gedacht werden, insofern der Körper selbst etwas denkbares ist, aber ihre konkrete Form ist kontingent, da die nähere Bestimmung der Modi der res extensa nur durch die Sinneserfahrung möglich ist. Über den genauen Wert meiner Empfindungen folgt nichts aus der Form des Zweifelsversuchs. Descartes fragt:

Welchen Grund kann ich haben, Gefühle qua modi cogitandi als Ausdruck materieller Vorgänge anzusehen?

(Dies ist nicht dieselbe Frage wie die nach der Möglichkeit einer Wirkung des Körpers auf den Geist.)

Meditation Six lays the rgound for Descartes' later treatment of internal finality by allowing me to define my 'nature' qua mind-body composite as uniquely capable of revealing its self-preservative ends to itself through a particular form of perception, in this case sensation (Williston p. 36).

Warum wir uns im Umgang mit der Außenwelt an unseren cogitationes orientieren können, läß sich auf zwei Weisen begründen:

  • die cogitationes sind klar und deutlich, und Gott ist kein Betrüger.
  • Die Natur lehrt, daß Gedanken und Dinge in dieser Weise zusammenhängen, und sich daran zu halten, reicht für praktische Belange aus (videbar a natura didicisse, 76,16-8).

Würde die erste Begründung konsequent verwertet, würde sich die Möglichkeit vollständiger sinnlicher Gewißheit ergeben, sofern die sinnlichen Ideen klar und deutlich sind. Sofern aber die durch Verbindung zum Körper entstandenen Ideen eo ipso confuse sind, kann ihr Status nicht auf diese Weise geklärt werden. Daß Gott kein Betrüger ist, impliziert gerade, daß die weniger verläßlichen Ideen nicht unmittelbar von ihm kommen (79,22-7).
Um die zweite Begründung geht es hier aber vorrangig. Was es heißt, daß die Natur mich etwas lehre, erörtert Descartes ausführlich. Zu zeigen, daß in einem gewissen Ausmaß auf die Natur Verlaß ist, heißt nicht einfach, den Zweifel der ersten Meditation rückgängig zu machen (76,21-77,27; vgl. 78,1). Die praktischen Belange, für die die Lehre der Natur ausreicht, sind nicht nur diejenigen, für die die provisorische Moral gelten kann. Es geht nach einer theoretischen Fundierung unseres Wissens nun auch darum, die praktische Seite unserer Forschung auf die ihr angemessene Grundlage zu stellen. Es geht, mit anderen Worten, um die Grenzen der praktischen Gewißheit im Umgang mit den eigenen Sinnesempfindungen, etwa beim Ablesen von Meßgeräten.
(Allerdings grenzt Descartes die 'Natur' ab 82,1-3 ab von einer consuetudo quadam inconsiderate judicandi.)
Daß es um praktische Belange geht, zeigt sich daran, daß Descartes mit der Nützlichkeit, nicht mit der Unbezweifelbarkeit bestimmter Annahmen argumentiert (eius nullum usum habere possem, nisi ... 79,9-10; nihil in toto hocnegotio nobis utilius est, 88,16). Letztlich ist der Vorteil der Organisation des Erkennens anhand von imaginatio uns sensatio die Effizienz. Zwar ist es vorstellbar, daß wir wie die Engel uns in der Welt zurechtfinden, indem wir unmittelbar erkennen, was mit unserem Körper geschieht, ein menschliches Leben läßt sich aber unter der Anleitung von Lust- und Unlustempfindungen leichter führen.

Was imaginatio und sensatio von anderen modi cogitandi unterscheidet, ist ihre Passivität (79,7-10, est quidem in me passiva quaedam facultas). Zwar ist auch die Idee Gottes mir eingegeben worden, aber Sinneseindrücke stellen sich mir unmittelbar ein (me non cooperante 79,13-4).

Was heißt: docet natura?

Ryle, p. 105:

We learn both to locate sensations and to give their crude physiological diagnoses from a rule-of-thumb experimental process, reinforced, normalle, by lessons taught by others.

Natur ist

  • (1) complexio eorum omnium quae mihi a Deo sunt tributa (80,25-6): natura mea,
  • (1b) (strictius) iis tantùm quae mihi, ut composito ex mente et corpore, a Deo tributa sunt (82,23-5)
  • (2) Gott und die von Gott eingerichtete Gesamtordnung (80,21-4).

Sie lehrt

  • was meine Empfindungen bedeuten,
  • wie ich meine Körperfunktion aufrechterhalte,
  • daß mein Körper zu mir gehört (81)
  • Daß es nützliche und schädliche Dinge in der Außenwelt gibt.
  • Was angenehm und was unangenehm ist (commoda vel incommoda, 83,18-9).

Obwohl die Natur zum Handeln anleitet, ist sie kein Wahrheitsindikator,

quia de iis verum scire ad mentem solam, non autem ad compositum, videtur perinere (82,30-83,2).

 
 
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