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Unterwegs zum Individuum

Wird das, was Descartes als reines Denken isoliert, als gewissenhaftes Erleben und Handeln verstanden, so können Antworten auf eine Reihe von Einwänden erarbeitet werden, die sich auf die Substanzialität und die Individualität des meditierenden ego beziehen.Lichtenberg hatte in einer bekannten Bemerkung gefragt, warum die cartesische res cogitans eine erste Person Singular sein müsse. Richtiger als ,Ich denke` sei die Erkenntnis aus den ersten beiden Meditationen mit einem unpersönlichen ,es denkt` zu übersetzen, im Sinne von ,es regnet`.gifChristian Wolff hatte, gegen eine gewisse Pariser ,Secte von Egoisten` gerichtet, die denkende res in den Plural gesetzt.
Und demnach ist klar, daß wir sind.gif
In § 6 seiner Deutschen Metaphysik bietet er eine eigentümliche Mischform von Plural und Singular des denkenden Dings an:
Wer sich seiner & anderer Dinge bewust ist, der ist.
Wir sind uns unserer und anderer Dinge bewust.
Also sind wir.
Bewusstsein einer Sache besteht für Wolff in der Fähigkeit, sie von anderen Sachen unterscheiden zu können.gif Bewusstsein, das jemand von sich selbst haben kann, besteht dann in der einfachen Fähigkeit, sich von anderen zu unterscheiden.
Eben hieraus erhellet, wenn wir uns unserer bewust sind, nehmlich wenn wir den Unterschied unserer und der anderen Dinge bemercken.gif
Damit gibt Wolff keine befriedigende Definition dessen, was ,bewust seyn` heißt. Offen bleibt nämlich die Frage, wie es vor sich geht, dass wir einen Unterschied bemerken. Allerdings bietet er eine brauchbare teilweise Explikation des Bewusstseinsbegriffes: Alles, was einem Denkende ,bewust` ist, ist dies in der Form einer Unterscheidung. Bewusstheit bei Wolff entspricht damit der cartesischen Deutlichkeit: Ihr Gegenteil ist die Verworrenheit oder Ununterschiedenheit.gif Es ist so einsehbar, wie Wolff das Bewusstsein in den Plural setzen konnte: Unterscheidungen zwischen Dingen kann man gerade und vielleicht nur gemeinsam ziehen. Die Frage an Descartes lautet nun: Was für einen Grund gibt es, das Denkende in den Singular zu setzen? Eine historisch orientierte Antwort ist schnell bei der Hand. Das Laterankonzil von 1513gif hatte nicht nur um Unsterblichkeitsbeweise gebeten, sondern auch darum, gegen die Averroisten zu zeigen, dass die Seele nicht eine für alle Menschen sei. Wenn Descartes tatsächlich dem Aufruf der Kirche gefolgt ist, dann hatte er offensichtlich ein Interesse daran, die Individualität der unsterblichen Seele zu zeigen.gif Eine zweite Argumentation für die Individualität des ego ist meines Erachtens auch heute nach- und mitvollziehbar.Das ego ist dazu als möglicher Träger von Verantwortung zu verstehen. Da der Verantwortungsbegriff in jüngerer Zeit kontrovers diskutiert wurde und überhaupt neueren Datums ist, sind hier zunächst ein paar Worte über seinen Gebrauch zu sagen.
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